Die Schöpfung wiedergewinnen

Schritte zurück zu einer biblisch-reformatorischen Weltsicht

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Vorbemerkungen

Im Bekenntnis von Nizäa Konstantinopel von 325 bekennt die christliche Kirche:

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen,
der alles geschaffen hat, Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Dieses Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer hat sich in der Zeit nach der sog. Aufklärung (vor ca. 300 Jahren) reduziert auf die Schöpfung, wobei bis heute viele nurmehr von Schöpfung oder vielmehr von der Natur reden und gleichzeitig nicht mehr an den Schöpfer glauben, der sich uns in seinem Wort und in seiner Schöpfung offenbart. Wer von Schöpfung spricht und dieses Wort ernst nimmt, der setzt voraus, dass Gott die gesamte Wirklichkeit ins Dasein gerufen hat. Damit kann dieser Mensch auch JA sagen zum Bekenntnis, das ich eingangs erwähnt habe. Das, was ist, was wir sehen und nicht sehen, die sichtbare und die unsichtbare Welt geht zurück auf Gott, der alles geschaffen hat. Die Welt hat ihren Ursprung im Willen des lebendigen Gottes, des Vaters unseres Herrn Jesus Christus. So sagt es die Heilige Schrift des AT und des NT.

Das zu bekennen, ist allerdings nicht mehr selbstverständlich.[2] Es ist problematisiert. Neuere evangelische Theologie hat seit Immanuel Kant ein schwieriges Verhältnis zur Schöpfungslehre und entsprechend auch zur Lehre der Vollendung, der Eschatologie. Die Naturwissenschaft, die sich seit dem 17. Jahrhundert herausbildete und die Natur als restlos mechanisch funktionierende Grösse verstand, war eine grosse Herausforderung an die Theologie. Der Anspruch, alles immanent verstehen zu können, benötigte keinen Schöpfer mehr, allenfalls noch einen «Uhrmacher-Gott», der alles plante, konstruierte und in Gang setzte, ohne dass er jetzt noch in irgendeiner Weise mit der vorfindlichen Welt zu tun haben kann. Damit gab es keinen Platz mehr für ein Einwirken Gottes in den Ablauf der Natur. Wer noch an Gott festhalten wollte, dem blieb nur übrig, zu postulieren, wie wir uns zu den Naturvorgängen verhalten. Nicht mehr die Naturvorgänge sind Thema der Theologie, sondern nur unser Verhältnis zu ihnen, unser Wahrnehmen, unser Verarbeiten, unser Handeln mit der Natur. Eine Lehre vom Schöpfer und von der Schöpfung war damit erledigt.

Friedrich Schleiermacher (1768-1834) formulierte klassisch, was viele Theologen heute noch vertreten: «Dass von der Welt in einer Glaubenslehre überhaupt nicht anders die Rede sein kann, als sofern sie sich auf den Menschen bezieht, versteht sich von selbst.»[3]

Das setzte sich dann verstärkt fort in der klassisch liberalen Theologie Ende des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. Jahrhundert. Es war ein durchaus seelsorgerliches Motiv hinter dieser Umformung der Schöpfungslehre. Man wollte dem modernen Menschen eine Brücke bauen, damit er Christ bleiben konnte und dabei seine rationalistische Einsicht nicht abstreifen musste. Man wollte das, was man unter Naturwissenschaft verstand, ernstnehmen und gelten lassen. Der Gegensatz von Wissenschaft und Glaube war gegeben und es war damit klar, wer für welchen Bereich zuständig ist. Im Bereich der Ratio, der autonomen Vernunft, wirkten Naturwissenschaft und Technik. Der Bereich der praktischen Vernunft war begrenzt auf die Dimension des Sittlichen (Moral), darauf was uns fordert und in Anspruch nimmt, was uns erst zum Menschen macht und über eine chemisch determinierte Maschine erhebt. So wurde gefolgert: ‘Die Wissenschaft hat es mit Tatsachen zu tun. Was die individuelle Lebendigkeit betrifft und wie Ereignisse uns berühren, dazu kann die Naturwissenschaft nichts beitragen. Hier geht es um das Erleben.’ Die Wahrheit des Glaubens, so wird gesagt, liegt auf dieser Seite. Diese Erkenntnis des Glaubens ist wichtiger, denn Personen sind wichtiger als Sachen. Damit war der Ausweg offen, den christlichen Glauben ganz hineinzunehmen in die persönliche, innere Erfahrung und darauf zu beschränken. Man postulierte: Die Welt bleibt Sache der Naturwissenschaft. Für die Theologie ist eine Lehre von Erschaffung der Welt durch Gott unmöglich geworden. An ihrer Stelle tritt eine Theologie des Gottvertrauens: «Ich weiss mich/ fühle mich geborgen in Gott, geborgen in Gottes Liebe.»

Damit handelt man sich auf Seiten der Theologie und der Kirche einen Widerspruch ein, der schlussendlich auch dem Glauben den Garaus macht. Die sog. wissenschaftlichen Ergebnisse werden als belastbare Hauptsache bewertet, während der Glaube zum Supplement wird, das auf Gefühlen beruht, die man haben kann oder nicht. Letztlich zieht man sich damit aus der Lebenswirklichkeit vieler Menschen zurück. Erfahrungsgemäss fragen Menschen eben doch nach Wahrheit. Schüler wollen im Religionsunterricht wissen, wie es um das Verhältnis von Glauben und Wissenschaft steht. Sie wollen nachvollziehbare und belastbare Argumente, selbst wenn sie das sonst in ihrem Leben anders praktizieren.

Wir müssen hier nicht stehen bleiben. Wir haben im Vortrag meines Vorredners Dr. Boris Schmidtgall gehört, wie heute von naturwissenschaftlicher Seite her Anfragen an das All-Erklärungsmodell des Darwinismus, Anfragen an eine naturalistische, materialistische Sicht, geschehen.

Letztlich haben wir es nicht mit einem Gegensatz von Glauben und Wissen zu tun, sondern um einen Gegensatz zwischen zwei grundverschiedenen Weltanschauungen. Als Christen setzen wir geoffenbartes Wissen voraus. Wir setzen voraus, dass Gott für den Menschen vernehmlich und verständlich geredet hat.[4] Während die eine Weltanschauung reduziert ist auf die zweigliedrige Sinngestalt «Mensch und Natur», gründet die christliche Weltanschauung auf der Dreigliedrigkeit: «Gott – Mensch – Welt.» Während sich die zweigliedrige Gestalt auf weltanschauliche Schlagwörter wie Atheismus (Kein Gott), Pantheismus (eine göttliche Kraft in allem) und Materialismus beschränkt, ist der christliche Gestalt offen auf Gott hin. Das ist keine Spielerei, sondern ein Kampf um den Menschen![5] «Wer im Zeichen des Glaubens lebt, denkt und handelt, ist frei zu kontrollierbarer, methodisch gebundener, wissenschaftlicher Arbeit, vermag aber nicht mehr einen sogenannten, rein wissenschaftlichen Standort’ zu beziehen. Dies war eine illusionäre Hoffnung des idealistischen Wissenschaftsglaubens des 19. Jahrhunderts.»

Darum gehen wir mutig zur Heiligen Schrift. Was sagt den die Heilige Schrift zu unserem Thema?

1. Gott, der Schöpfer und Erhalter

«Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.» (Genesis 1,1) Mit dieser grossen, feierlichen Aussage beginnt die Heilige Schrift.

Es begann mit Gott, der alles erschaffen hat. Die Schrift fängt nicht mit Jesus Christus und seinem Erlösungswerk für uns an. Sie beginnt mit der Erschaffung von Himmel und Erde. Weil Gott die Welt erschaffen hat und sagte: Es ist sehr gut! – nur darum können wir dann auch das Werk der Erlösung und Versöhnung richtig verstehen! Wenn wir die biblische Sicht der Schöpfung nicht festhalten und verstehen, wird auch unser Verständnis von Sünde und Erlösung verdreht und oberflächlich.

Vor der Tür lauert die Gnosis, jene Lehre, welche die Schöpfung Gottes verleugnet. Sie leugnet ebenso die Fleischwerdung Jesu. An die Stelle des leiblichen Werkes[6] von Jesus tritt dann die unmittelbare geistig religiöse Erfahrung des Menschen. Erlösung wird so verstanden, dass der Mensch sich aus der Schöpfung herausbegeben muss, hin in geistige Sphären, aus der Dunkelheit in ein geistiges Licht. Die Schöpfung wird abgewertet. In einigen Irrlehren wird die Schöpfung sogar einem anderen Gott, einem Demiurgen, einem dunklen, bösen Gott, zugeschrieben.

Diese Irrlehren versuchten, schon früh in die Kirche zu dringen. Darum betont die Kirche gegen alle Schöpfungsverleugnung:

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Die Bibel lehrt uns von der ersten bis zur letzten Seite, dass die Schöpfung Gottes Werk ist. Er hat sie durch sein Wort und durch seine Weisheit geschaffen. Durch sein Wort: «Und Gott sprach – und es geschah» - so der wiederkehrende Refrain von 1. Mose 1-2. Das Wort ist Gottes Autorität: Es kommt nicht leer zurück, sondern bewirkt, wozu es gesandt ist. (Jesaja 55,10-11) Sein Wort bringt die Schöpfung zustande. Psalm 33,6+9: «Der Himmel ist durch das Wort des HERRN gemacht und all sein Heer durch den Hauch seines Mundes… Denn wenn er spricht, so geschieht’s; wenn er gebietet, so steht’s da.» Man beachte die Parallele zu 1. Mose 1, wo auch vom Geist/ Hauch (ruah) und vom Wort gesprochen wird. Was Gott schafft an Ordnung und Komplexität in der Schöpfung, das ist gut (tob/תוב). Ihm gefällt die Vielfalt der Geschöpfe. Diese Vielfalt ist Ausdruck seines Willens. Vielfalt und Ordnung, beides gehört zusammen. Etwas davon erkennen wir, wenn wir den Schöpfungsbericht lesen und etwas davon sehen wir auch, wenn wir die Schöpfung betrachten.

Weil Gott der Schöpfer ist, gebührt ihm Lob und Anbetung. Psalm 148: Seine Schöpfung betet ihn an. Die Engel loben ihn. Sonne und Mond loben ihn. Alles, was zur Schöpfung gehört und fortwährend entsteht und wächst, ist sein Wirken und soll ihn darum anbeten. Auch die Menschen sollen Gott anbeten: «Ihr Könige auf Erden und alle Völker, Fürsten und alle Richter auf Erden, Jünglinge und Jungfrauen, Alte mit den Jungen! Die sollen loben den Namen des HERRN; denn sein Name allein ist hoch, seine Herrlichkeit reicht, so weit Himmel und Erde ist.»(Psalm 148,11-13)

Gott hat die Welt durch seine Weisheit geschaffen. Davon spricht Sprüche 8,27-31. Gott hat die Schöpfung mit Weisheit erschaffen. Sie hat deshalb ein Design und eine Ordnung, ist nicht ein Chaos. In Hiob 28,25-27 finden wir gleiche Aussagen. Zusammenfassend Sprüche 3,19-20: «Der HERR hat die Erde mit Weisheit gegründet und nach seiner Einsicht die Himmel bereitet. Durch seine Erkenntnis quellen die Wasser der Tiefe hervor und triefen die Wolken von Tau.»

Das alles ist die Ursache zu grosser Freude und Anbetung Gottes: «HERR, wie sind deine Werke so gross und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.» (Psalm 104,24) Auch der einzelne Mensch bringt sein Staunen zum Ausdruck: «Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.» (Psalm 139,14)

Dieser Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, ist allein würdig, dass wir ihn anbeten. Während die Götzen der Völker machtlos sind (Jes. 40,18-ff.; 41,7; 46,6), ist Gott der allmächtige und lebendige Gott. Aus Jeremia 10,1-16: «Er aber hat die Erde durch seine Kraft gemacht und den Erdkreis bereitet durch seine Weisheit und den Himmel ausgebreitet durch seinen Verstand… Alle Menschen aber sind Toren mit ihrer Kunst, und alle Goldschmiede stehen beschämt da mit ihren Bildern; denn ihre Götzen sind Trug und haben kein Leben, sie sind nichts… Aber so ist der nicht, der Jakobs Schatz ist; sondern er ist’s, der alles geschaffen hat, und Israel ist sein Erbteil. Er heisst HERR Zebaoth.» Gottes Werk ist zuverlässig, fest gegründet – das entspricht seinem Wesen. Alles ist ein Kosmos – eine schöne Ordnung und kein Chaos. Die Schöpfung zeugt von Gottes Herrlichkeit, aber sie wird nicht angebetet.

Der moderne und postmoderne Mensch preist vielleicht noch eine wunderbare Natur und spricht von ihr in personaler Weise («Mutter Natur», «die Natur fordert» usw.). Er meint, er könne zu einem Urzustand zurückkehren. Diese Vergottung und Anbetung der Natur führt jedoch in eine Gefangenschaft an die Mächte der Natur, die in vielem den vorchristlichen Kulten ähnlich ist.

Gott hat einen Bund mit der Schöpfung geschlossen. Er hat sich nicht von der Schöpfung abgewandt, weil es hier nichts mehr zu tun gäbe. Die Bibel kennt keinen deistischen Gott, der sich nach getaner Arbeit zurückzieht, ja zurückziehen muss, weil jetzt nur noch die Naturgesetze regieren. Die Schöpfung ist entstanden, weil Gott es so wollte. Er hat alles ins Leben gerufen, auch die Gesetze der Natur. Wir haben uns nicht selbst ins Leben gebracht. Darum sind wir von ihm abhängig, von seiner Treue. Es spricht vieles dafür, dass wir das Verhältnis von Gott mit seiner Schöpfung als einen Bund bezeichnen. «So spricht der HERR: Wenn ich jemals meinen Bund nicht hielte mit Tag und Nacht noch die Ordnungen des Himmels und der Erde, …» (Jeremia 33,25). In die gleiche Richtung gehen alle Aussagen, die Gott als König bezeichnen: «Denn der HERR ist ein grosser Gott und ein grosser König über alle Götter. Denn in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein…»(Psalm 95,1ff).

Er hat seinen Bund mit der Schöpfung geschlossen. Die Schöpfung hängt von ihm ab, von seiner Fürsorge und Erhaltung: Weil Gott treu ist, erhält er die Welt. Alles dient ihm und Er erhält alles. Auch die Schöpfung, die durch den Sündenfall des Menschen in die Knechtschaft der Vergänglichkeit gefallen ist (1. Mose 3,17; Röm. 8,20-21) seht noch unter Gottes Bund.

Hier sehen wir ins Neuen Testament, wie wir in der Predigt gehört haben: Kolosser 1,15-17 «Er (Jesus Christus) ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.» oder Hebräer 1,3 «Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort.» - So erhält und leitet Gott alles nach seinem Plan, nach seiner Vorsehung. Er tut es durch seinen Sohn Jesus, der für uns gestorben und auferstanden ist und der erhöht ist zu seiner Rechten.

Nun zum Schluss dieses Abschnitts eine wichtige Beobachtung, die ich bereits mit der Zitierung von Jeremia 10 angesprochen habe, wo es im Vergleich zu den machtlosen Götzen heisst: «Aber so ist der nicht, der Jakobs Schatz ist; sondern er ist’s, der alles geschaffen hat, und Israel ist sein Erbteil. Er heisst HERR Zebaoth.» Das zieht sich durch die ganze Bibel: Weil Gott der Schöpfer ist, der alles geschaffen hat und alles erhält und alles nach seiner Vorsehung führt, deshalb kann er auch der Erlöser seines Volkes sein. Besonders eindrücklich wird das in Jesaja 40 verkündigt und in den folgenden Kapiteln wiederholt und vertieft. Es lohnt sich im Hinblick darauf das ganze Kapitel zu lesen. Hier nur ein kleiner Abschnitt:

«Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei?, spricht der Heilige. Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so gross, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: ‘Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber’? Weisst du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.» (Jesaja 40,25-28) - «Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.» (Jesaja 40,10-11)

Gottes Souveränität als Schöpfer und Erhalter ermächtigt ihn, sein Volk zu erlösen. Keine fremden Mächte und keine noch so starken Nationen können Gottes Volk gefangen halten, wenn Gott sich aufmacht, um sein Volk zu befreien. Sie sind vor ihm nur ein Staubkörnchen auf der Waage oder ein Tropfen im Eimer.

Wir können also zurecht sagen: Wenn wir Gott, den Schöpfer verlieren; wenn wir glauben: Das Allerklärungsmodell Evolutionslehre sagt uns, wie alles entstanden ist – nämlich ohne Gott und dabei meinen: Die Glaubenszeugnisse sind von den naturwissenschaftlichen Fragestellungen nicht berührt, so verlieren wir auch das Evangelium von der Fleischwerdung Jesu und damit unsere Erlösung. Was übrig bleibt, ist ein Subjektivismus, ein diffuses Gefühl einer Geborgenheit im Universum. Damit werden Glaube und Predigt unwirklich, zu blossen Wortspielen. Wache Zeitgenossen merken das. Die Kirche flieht sich Alternativen wie Bewahrung des Klimas und Anbetung der Vielfalt der Geschlechter.

2. Gott offenbart sich in der Schöpfung

Es ist gut und das gehört zum Netzwerk Bibel und Bekenntnis, dass wir die Reformatoren befragen, was denn sie zum Thema Schöpfung sagen, näher zur Frage, wie Gott sich in der Schöpfung offenbart und wie er das Zeugnis seines Willens in die Herzen aller Menschen eingeschrieben hat.

Ich beziehe mich hier auf John Fesko, Professor für Systematische und Historische Theologie in den USA, auf seinen Artikel in Evangelium21 mit dem Titel: «Die Schöpfung bezeugt den Schöpfer»[7] und auf sein Buch: «Reforming Apologetics: Retrieving the Classic Reformed Approach to Defending the Faith»[8], das ein Fülle von Quellen angibt aus der reformierten Theologie zu dieser Fragestellung.

Die reformierte Theologie des 20. Jahrhunderts gibt zu bedenken, dass es keine natürliche Offenbarung gibt, dementsprechend auch keine natürliche Theologie entwickelt werden kann. Es gibt somit keine Anknüpfungspunkte beim natürlichen Menschen, auf die man sich beziehen kann in der Verkündigung.

Die alten reformierten Theologen und Bekenntnisse sind hier anderer Meinung: Sie sprechen mit grosser Selbstverständlichkeit von einer Wahrheit, die wir mittlerweile vergessen haben. Sie sprechen davon, dass sich Gott in zwei Büchern offenbart: Im Buch der Schöpfung und im Buch der Heiligen Schrift.

So formuliert etwa die Confessio Belgica[9] (1561) in Artikel 2: Von der Erkenntnis Gottes:

«Wir erkennen aber Gott auf zwei Weisen: Zuerst durch die Schöpfung, Erhaltung und Regierung dieser ganzen Welt. Denn diese ist für unsere Augen wie ein schönes Buch, in welchem alle Geschöpfe, kleine und grosse, gleich wie hingeschriebene Buchstaben sind, aus denen das unsichtbare Wesen Gottes ersehen und erkannt werden kann, nämlich seine ewige Macht und Göttlichkeit, wie der Apostel Paulus sagt in Römer 1,20. Dies alles reicht hin, um die Menschen zu überführen und zu machen, dass sie keine Entschuldigung haben. Zweitens gibt er sich uns weit klarer und deutlicher in seinem heiligen und göttlichen Wort zu erkennen und offenbart sich, soviel nämlich uns in diesem Leben zu seiner Ehre und zum Heil der Seinigen notwendig ist.»

Johannes Calvin schreibt in seiner Glaubenslehre, in der Institutio 1. Buch 5.1:

«Sein (Gottes) Wesen zwar ist unbegreiflich, so dass seine Gottheit allem Verstehen der Menschen völlig unerreichbar ist. Aber er hat den einzelnen Werken zuverlässige Kennzeichen seiner Herrlichkeit eingeprägt, und diese sind so deutlich und eindrücklich, dass auch den unkundigsten und unverständigsten Menschen jede Entschuldigung mit Unwissenheit unmöglich gemacht ist… Man kann dieses gewaltige, wundervolle Gebäu, das ringsum daliegt, gar nicht mit einem Blick erschauen, ohne unter der Gewalt dieses unermesslichen Glanzes zusammenzusinken.» 1/5.2: «Im Himmel und auf Erden sind unzählige Zeugnisse, die seine (Gottes) wunderbare Weisheit beweisen… Da ist also niemand, dem der Herr seine Weisheit nicht reichlich offenbart».

Diese Überzeugung geht zurück auf den Apostel Paulus, der das in Römer 1,19-21 beschrieben hat: «Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es mit Vernunft wahrnimmt, an seinen Werken ersehen. Darum haben sie keine Entschuldigung. Denn obwohl sie von Gott wussten…» Gott hat das erste Buch, das der Schöpfung, so klar geschrieben, dass er sich darin zu erkennen gibt nach seiner ewigen Kraft und Gottheit. Die Schöpfung ist nicht einfach Materie, die daliegt für sich, sondern Gott offenbart sich durch seine Schöpfung.[10] Er offenbart sich in der Schöpfung, damit wir ihn erkennen! Das Buch der Schöpfung hat nicht bloss den Sinn, uns jede Entschuldigung zu nehmen, sondern auch um uns zur Anbetung Gottes zu führen.

Gewiss offenbart sich Gott in seiner Schöpfung, damit wir keine Entschuldigung vorbringen können, weil wir trotz unserer Erkenntnis ihm nicht danken. Wir können uns nicht damit herauswinden, dass die Spuren Gottes zu undeutlich sind. Deshalb ist es die eine Sünde, wenn wir, statt Gott die Ehre zu geben und ihm zu danken, ihn leugnen und stattdessen die Geschöpfe anbeten. Für die Reformatoren der ersten Generation war es klar: Im ersten Buch Gottes, seiner Schöpfung, offenbart sich Gott deutlich genug, damit wir seine Kraft und Gottheit sehen. Und dennoch ist die Bibel, die Heilige Schrift klarer und grösser in ihrer Autorität. Nur durch sie erhalten wir die Erkenntnis Gottes und seines Willens, die zum Heil notwendig ist.

Confessio Belgica:

«Zweitens gibt Gott sich uns weit klarer und deutlicher in seinem heiligen und göttlichen Wort zu erkennen und offenbart sich, soviel nämlich uns in diesem Leben zu seiner Ehre und zum Heil der Seinigen notwendig ist.»

Die Reformatoren und die reformierten Bekenntnisse sprechen auch von einem «Licht der Natur»[11]. Das ist keine spekulative Behauptung. Sie leiten es etwa ab von Johannes 1,4-5: «In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.»

Die Reformatoren lesen die Bibel und sehen: Sie hat viel zu sagen, wie Gott sich in seiner Schöpfung zu erkennen gibt. Gerade der Heilige Geist lehrt sie aus der Schrift noch viel deutlicher die Zeichen Gottes in der Schöpfung zu sehen. So können wir mit Recht sagen: Ein durch den Heiligen Geist wiedergeborener Mensch sieht noch mehr Spuren Gottes in der Schöpfung, weil ihm die Augen dafür geöffnet werden und er darum auch Gott anbeten kann.[12]Er muss nicht mehr den Schöpfer leugnen.

Es gibt ein weiteres Verständnis des «Lichts der Natur». Paulus schreibt in Römer 2,14-15 über die Menschen, die die Thora nicht wie Israel schriftlich am Sinai empfangen haben:

«Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass des Gesetzes Werk in ihr Herz geschrieben ist; ihr Gewissen bezeugt es ihnen, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen...»

Gott hat seinen Willen allen Menschen kundgetan, und zwar durch die geschaffene Wirklichkeit. Die geschaffene Wirklichkeit ist nicht einfach gottlos, gottfrei und autonom. Sie steht unter dem Willen Gottes.[13]

Wer hat des Gesetzes Werk in ihr Herz geschrieben? Gott hat es getan! Gott überlässt die Völker nicht sich selbst. Er lässt sie nicht ohne Zeugnis, wie wir aus Apostel­geschichte 14,16-17 wissen. Er tut ihnen Gutes und gibt ihnen Sonne und Regen und Gedeihen. Er hat sich ihnen offenbart, damit sie ihn suchen (vgl. Apostelgeschichte 17,27).

Dass Gott auch den Heiden sein Gesetz ins Herz gegeben hat, ist Teil seiner Erhaltungsordnung. Schon vor der Verkündigung von Gottes Thora am Sinai, gab es die Forderung und das Wissen um die Unterscheidung von Gut und Böse. Das beweisen der Noahbund (1. Mose 8,20–9,17), die Vätergeschichten und die Gerichtspredigten der Propheten gegen die Völker. Das zeigen die Beispiele der Bibel, wenn erzählt wird, wie Heiden sich mitunter gerechter benehmen als solche, die an Jahwe glauben. Wir sehen: Gott tat seinen Willen schon vor der Offenbarung des Gesetzes kund. Deshalb können die Reformatoren formulieren: «Die Vernunft sagt» oder «die Natur sagt». Aber sie messen, das, was die Natur sagt, immer an dem in der Schrift offenbarten Gebot.

Dieses Wissen, das Gott auch den Menschen ausserhalb seines Bundes mit Israel gegeben hat, zeigt sich so, dass bei allen Menschen ein Wissen um Gut und Böse existiert. Das Gute ist lebensfördernd, das Böse ist lebensvernichtend. Der Wert eines Menschenlebens wird in allen Kulturen erkannt. Dass Tötung eine Übertretung ist, wissen auch die Heiden. Das erzählt uns z.B. die Jonageschichte im 1. Kapitel: Die Seeleute, die Jahwe nicht kennen, wissen dennoch: «Wenn wir jetzt (selbst auf Jonas Wunsch) ihn in das Meer werfen, so machen wir uns schuldig.» (vgl. Jona 1,14ff) Auch die Heiden wissen, dass ein Gott angebetet werden soll und dass der Mensch sich ihm nur mit Opfern nahen kann. Auch Heiden anerkennen, dass die Weitergabe von Leben durch Mann und Frau geschieht und dass der Unterschied zwischen Mann und Frau ein naturgegebener ist. Deshalb werden Ehebruch und Inzest verurteilt. Auch dass Diebstahl etwas unrechtes ist, wissen sie. Die tiefere Ursache für dieses Wissen, ist die Tatsache, dass Gott alle Menschen in seinem Ebenbild geschaffen hat und dass Gott die Welt erhält, in dem er auch seine allgemeine Gnade über allen Menschen walten lässt.

Friedrich Beisser schreibt: «Der christliche Glaube und das christliche Ethos können und dürfen nicht an dem vorbeigehen, was Gott allen Menschen durch die Wirklichkeit selbst anträgt und gebietet.» Abschliessend zitiere ich aus seinem Aufsatz, was er über den Inhalt der Schöpfungsethik sagt:

«Ethische Gebote ergehen nicht abseits der Natur, nicht neben ihr, sondern aus ihr heraus… Wir müssen wieder lernen, dass Sittlichkeit und Natur zusammenhängen und zusammengehören. Wer sie auseinanderreisst, verfehlt die Realität, in der wir leben. Wer sie trennt, reisst aber auch die äussere Welt als solche los von Gott.»[14] «Das Gebieten Gottes steht im Gesamtzusammenhang der Zuwendung Gottes zu Menschen… Die theologische Tradition unterscheidet zwischen… den ,Ordnungen’ und den ,Geboten Gottes’… Die Ordnungen sind eigentlich nichts anderes als die Strukturen des Wirklichen selbst…». Wir müssen «heute wieder einsehen lernen, dass es hier Ordnungen, dass es feste Strukturen tatsächlich gibt, die man nicht einfach umkrempeln oder missachten darf.»

Unter den «Ordnungen», die von Gott geschaffen sind, den sog. Schöpfungsordnungen, sind gehören etwa die Ehe von Mann und Frau (von Jesus bestätigt in Mt. 19). Ehe und Familie sind Ordnungen oder wie Bonhoeffer[15] sagt, sind Mandate, Anordnungen Gottes. Auch die Ordnung von Arbeit und Broterwerb gehört dazu, die dem Menschen von Anfang an gegeben wurde. Anders gesagt: Die Wirtschaft oder weiter gefasst: Die Kultur. Auch die Obrigkeit ist eine Ordnung, von Gott aus Liebe gegeben ist, damit Menschen zusammenleben können. Ziel Gottes in allem ist ein Miteinander und Füreinander – auch im Gegenüber. Die Ordnungen unterstehen dem Willen Gottes für uns Menschen. Es sind Wirklichkeiten, von Gott gesetzt. Diese letzten Bemerkungen sollen ein Ausblick zum Weiterdenken sein.

Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es unerlässlich ist, den Glauben an den Schöpfer zurückzugewinnen. Er hat Auswirkungen auf die Gotteslehre, die Lehre von der Erlösung und auf die Ethik.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 

Zum Autor

Pfr. Dr. Jürg H. Buchegger, Frauenfeld, ist pensionierter Pfarrer und ehemaliger Prorektor und Dozent an der STH Basel.


[1] Schriftliche Version des Vortrags, der am 16. März 2024 an der Tagung des Netzwerks Bibel und Bekenntnis Schweiz im Ref. Kirchgemeindehaus Winterthur-Seen gehalten wurde.

[2] F. Beisser, Biblischer Schöpfungsglaube und die Begründung ethischer Normen. In H. Burkardt, (Hrsg.) Begründung ethischer Normen, TVG Giessen 1988, S. 24-25.

[3] Zitat bei Beisser, S. 25.

[4] H.W.Beck, Theologie der Natur – natürliche Theologie, in H.W. Beck, Schritte über Grenzen zwischen Technik und Theologie, Band 6,2. S. 170.

[5] Beck, S. 168

[6] Inkarnation – Tod am Kreuz – leibliche Auferstehung – leibliche Himmelfahrt.

[7] https://www.evangelium21.net/media/1359/die-schoepfung-bezeugt-den-schoepfer (abgerufen 14.2.24).

[8] Bei Baker Academics 2019.

[9] Niederländisches reformiertes Bekenntnis.

[10] Bavinck, Our reasonable Faith, S. 38: «Creation itself, taught by Scripture, demonstrates the revelation of God in nature. For creation is itself an act of revelation.»

[11] Johannes Calvin, Kommentar Römerbrief, zu 2, 14-15.

[12] Bavinck H. Our reasonable Faith, S. 37.

[13] Beisser, S. 31.

[14] Beisser, S. 27.

[15] Bonhoeffer, Ethik, München 1984, S. 303ff.