Ein Gott nach unserem Bild?

Serie: Wer ist Gott?

Was wir über Gott wissen können und sollen (Teil 1)

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Ein Gott nach unserem Bild?[1] «Ach, das ist doch nicht unser Problem! Wir kennen doch das Gebot Gottes:

Du sollst dir kein Bildnis machen.’

Ganz so einfach ist das nicht. Wer ist Gott? Wie ist Gott? A. W. Tozer hat schon in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts festgestellt: «Die Gemeinde hat den Sinn für Gottes Majestät verloren und ihre einstige Gottesvorstellung durch eine andere ersetzt, die niedrig und Gott unangemessen ist… Dieser eine Irrtum in unserem religiösen Denken führt zu einer vollständig neuen Konzeption unseres christlichen Lebens.»[2] Wenn sich die Sicht von Gott verändert, wenn wir einen Gott nach unserem Bild formen, dann hat das Folgen für die Verkündigung, für den Glauben der Gemeinde und für die Lebensführung des Christen.

Das Wort aus Psalm 46,11 steht dem entgegen: «Seid still und erkennt, dass ich Gott bin.» Doch wer will noch still werden in unserer Betriebsamkeit, auch in unserem kirchlichen Aktivismus? Es gibt dutzende fromme Lebensberatungsbücher und christliche Romane. Ein Buch, das uns das Wesen Gottes nahebringt, werden wir kaum finden. Und: Wie viele Predigten malen uns Gottes Wesen in seiner Tiefe vor Augen?

Selbst unter sog. evangelikalen Christen wird gesagt: «Ich finde Gott, indem ich auf die Stimme des Geistes in meinem Herzen höre.» Man will sich nicht mehr an einer externen Autorität ausrichten, nämlich an Gott und an seinem Wort. Nur was von innen kommt, soll authentisch sein: «Wer Gott für mich ist.» Das ist ein Lieblingssatz unserer Zeit. Authentischer Glaube ist das, was man empfindet, spürt, erlebt, «was für mich stimmt». Die Artikelbeschreibung des Buches «Vision» lautet: «Wirf einen Blick in dein Innerstes…!»[3]

Damit wird die Erkenntnis Gottes abhängig von der menschlichen Einschätzung. Das Gefühl bildet die wacklige Grundlage der Beziehung des Geschöpfes zu seinem Schöpfer. Nicht gesunde Lehre, nicht das biblische Wort, sondern unsere Empfindung wird das Mass der Gotteserkenntnis.

In manchen frommen Büchern wird ein therapeutisch-psychologischer Ansatz verkündigt:

Vor einigen Jahren habe ich bei George MacDonald einen erstaunlichen Gedanken gelesen. Vermutlich haben Sie schon mal gehört, dass in jedem menschlichen Herzen ein Leerraum ist, den nur Gott ausfüllen kann. (Wir haben weiß Gott schon alles Mögliche versucht, dieses Loch zu stopfen, ohne Erfolg.) Aber nun behauptete der alte Dichter, dass es auch in Gottes Herzen einen Raum gibt, den nur wir ausfüllen können. ‚Folglich gibt es auch in Gott selbst eine Kammer, zu der niemand sonst Zutritt hat, außer dem Einzelnen.‘ Außer Ihnen. Dazu sind Sie geschaffen: einen Platz im Herzen Gottes einzunehmen, den sonst nichts und niemand ausfüllen kann. Unglaublich. Gott verzehrt sich nach Ihnen.[4]

Schön gesagt! Das tut uns doch gut: «Gott sehnt sich nach uns. Er braucht uns.» Wie oft haben Sie das schon gehört? «Wir sind unentbehrlich für Gott!»

Aber ist das wahr? Was ist das für ein Gott, der uns braucht? Ein Gott nach unserem Bild! Nie wäre es früher in der christlichen Theologie jemandem in den Sinn gekommen, so etwas zu sagen. Man wusste aus der Bibel etwas anderes: Im Gegensatz zu uns Menschen, die abhängige Wesen sind, ist Gott vollkommen und bedingungslos frei. Wir Menschen vergehen ohne Gott, der Quelle und dem Erhalter des Lebens. Gott ist nicht bedürftig wie wir. Man spricht in der Gotteslehre von der ‘Aseität’ Gottes: Gott selbst ist die Fülle des Seins. Er braucht keine Ergänzung. Er braucht nichts. Oben zitierter Autor jedoch suggeriert, dass Gott uns Menschen braucht. Das mag uns schmeicheln, dass wir diejenigen sind, die das «Loch in Gott stopfen». Doch das ist ein Irrtum. Gott ist von Ewigkeit der, der er ist (2. Mose 3,14). Gott braucht uns nicht. Wir brauchen ihn.

Zum Vergleich ein Zitat aus einer Predigt von Jonathan Edwards:

So gnädig und voller Erbarmen ist Gott, dass er den elenden Menschen, den er nicht benötigte, der ihm nichts Gutes erwies, der in keinerlei Hinsicht für ihn von Vorteil gewesen wäre, der sich selbst durch seine Rebellion gegen Gott ins Elend brachte, dass dieser Gott solches Erbarmen zeigte, dass er seinen einzigen Sohn für den Menschen durch die Qual, die der Mensch verdient hätte, gehen ließ, um ihn zu befreien. Jetzt bietet er aus freien Stücken komplettes und vollkommenes Glück eben diesen Rebellen an – in alle Ewigkeit, dank dem Werk seines Sohnes. Niemals sonst hat es solch einen Moment von Güte, Gnade, Erbarmen und Barmherzigkeit gegeben, seit die Welt entstanden war. Jedes Erbarmen und jede Güte unter Geschöpfen bleibt weit dahinter zurück. Dergestalt ist die Güte, die nie durch ein anderes Wesen erreicht worden ist und erreicht werden wird.[5]

Was für ein Kontrast! Es geht nicht um einen rein sprachlichen Unterschied im Sinn: «Den ersten Text versteht man besser als den zweiten.» Es sind zwei verschiedene ‘Welten’. Was Gott dem elenden Menschen schenkte, der Gott nichts bringen konnte, vollbrachte er aus freien Stücken. Was für eine Tiefe!

C. H. Spurgeon sagt: «Kein Gegenstand der Betrachtung ist geeigneter, den Geist zur Demut zu bringen, als der Gedanke an Gott.» und «Über Gott Bescheid zu wissen ist überaus wichtig, um unser Leben zu leben.»

Diese lose publizierte Artikelserie über das Wesen Gottes soll uns helfen, «über Gott Bescheid zu wissen.» Dabei ist es für den Autoren klar, dass Gottes Geheimnis gross und unerforschlich ist und wir nur mit Ehrfurcht und in staunendem Anbeten von dem reden können, was Gott von sich offenbart:

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn ‘wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?’ Oder ‘wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?’ Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen. (Römer 11,33-36)
Fortsetzung 1: Biblische Betrachtung zu Jes 40-48.

[1] Unter Verwendung der Schrift von Hanniel Strebel, Wer Gott verliert, verliert sich selbst. Mit Erlaubnis des Autors. (MBS Text 185.) Als PDF zu finden unter: https://www.bucer.de/ressource/details/mbs-texte-185-2016-wer-gott-verliert-verliert-sich-selbst.htm....

[2] A. W. Tozer, Das Wesen Gottes. Eigenschaften Gottes und ihre Bedeutung für das Glaubensleben. Neuhausen-Stuttgart, 1996.

[3] «… Dieses Buch begleitet dich Schritt für Schritt zu deiner (!) persönlichen Vision für das neue Jahr. Bleibe mit Gott das ganze Jahr über im Gespräch, teile deine (!) Ziele und Träume mit ihm und sein liebevoller Blick (!) wird dich von innen heraus verändern.» Gunnar Engel, Vision, SCM Verlag.

[4] Stacy und John Eldredge. Weißt du nicht, wie schön du bist? Gießen/Basel: Brunnen, 2009 (7. Auflage). S. 162.

[5] 1703-1758. Wichtige Persönlichkeit der sog. First Great Awakening in den USA. Informationen über J. Edwards finden Sie im Internet. Z. B.: https://www.christianitytoday.com/history/people/theologians/jonathan-edwards.html 

Zum Autor

Pfr. Dr. Jürg H. Buchegger, Frauenfeld, ist pensionierter Pfarrer und Prorektor und Dozent an der STH Basel.

juerg.buchegger@gmail.com (ich freue mich über Rückmeldungen und Fragen)