«Fallgruben» in Predigten (Teil 1/4)

Der Begriff „Fallgrube“ löst unangenehme Vorstellungen aus: Man ist unterwegs und guter Dinge und plötzlich fällt man in eine Grube. Keine Vorzeichen, keine Warnungen, nichts hat auf dieses Ungemach hingedeutet.

In Predigten – landauf, landab – treffen wir „Fallgruben“ an. Sie hindern uns daran, den geraden Weg der Nachfolge Jesu zu gehen. Die Predigt in den evangelischen Kirchen ist der am härtesten umkämpfte Ort unserer Kultur. Kaum jemand denkt viel darüber nach. Doch – da und dort blitzt diese tiefe Wahrheit auf. Nennt in unseren Tagen ein Verkündiger die Götzen und Irrlehren unserer Generation beim Namen, bricht in kürzester Zeit ein Unwetter über ihn herein. Viele von uns wurden Zeugen der brachialen Verunglimpfung des tapferen lutherischen Pfarrers Olaf Latzel in Bremen. Der anpassungsfähige Christ Westeuropas lernt sehr schnell aus solchen Vorgängen: Er richtet es sich bequem ein in seinen „Fallgruben“, die er nicht als solche wahrnimmt. Dies „rettet“ ihn aus der Gefahr, sich mutig zur Wahrheit des Wortes Gottes zu bekennen. Damit umgeht er die offene Feldschlacht mit dem Feind. Der Verkündiger wie seine Gemeinde wissen: Wer überleben will in unseren wirren Zeiten, der gehe in Deckung und bleibe in seinen Löchern. Mit solchen Kirchen ist der Zeitgeist tolerant, er lässt sie dort in Ruhe, wo sie sich eingegraben haben. 

Erste Fallgrube: „Alles positiv formulieren!“

Es ist eine x-fach bewiesene Einsicht aus der Kommunikationswissenschaft und aus der Werbung. Positive Botschaften kommen besser an als negativ formulierte Mitteilungen. Die Kauflust steigt, wenn der Artikel Fr. 99.95 kostet; der runde Betrag von Fr. 100.- würde abschrecken. Das General-Abonnement der SBB kommt auf gut Fr. 10.- im Tag. Dies tönt verlockender als knapp Fr. 4‘000.- im Jahr.

Was geschieht nun, wenn der Verkündiger des Wortes Gottes sich dieser Maxime („alles ist positiv zu formulieren!“) unterzieht? Wie wird er seiner Gemeinde die Bergpredigt Jesu nahebringen – vom schmalen Weg und der engen Pforte; vom breiten Weg, der ins Verderben führt? Muss er auch dies in positive Wendungen umgiessen: Dass die „schmalen Wege“ sowieso die angenehmsten Wanderwege seien; und dass das „Verderben“ lediglich ein nicht idealer Ort mit Verbesserungspotential sei?

Werden dem Prediger diese Umformulierungen zu anstrengend, gibt es eine einfachere Lösung des Problems: Er scannt die Bibel nach wohltuenden und positiv klingenden Aussagen durch. Nun traktiert er die Heilige Schrift, indem er stets diese Stellen heranzieht und den Rest der Bibel beiseite lässt.

Und die Gemeinde? Sobald sie das Angenehme solcher Botschaften gekostet hat, wird sie womöglich mehr davon verlangen. Ist der Gaumen einmal an Süsses gewohnt, begehrt er mehr vom Gleichen! Sie wird sich sogar selbstbewusst auf den Standpunkt stellen: „Nur eine positiv formulierte Auslegung der Bibel ist uns zumutbar. Alles andere dämpft die gute Stimmung und schreckt mögliche Interessenten ab.“

Nur – und das haben viele in unseren Tagen nicht bedacht: Die Bibel bezeugt die Wahrheit über Gott und über uns Menschen. Es geht nicht um die Art der Darlegung („Performance“ sagt man dem heute), sondern um die Frage, ob das Dargelegte wahr ist oder nicht. Nur die Wahrheit über uns wird uns retten. Nur die Wahrheit wird unsern Zustand entlarven und uns zu Umkehr und Busse führen.

Zweite Fallgrube: „Die Leute dort abholen, wo sie sind!“

Auch dies ist ein zuckersüsser Ratschlag an die Kirche. Der Verkündiger möchte sich damit als besonders feinfühliger Mensch unter Beweis stellen. Nein, niemanden will er vor den Kopf stossen. Die Leute zu überrumpeln mit unangenehmen Forderungen – dies kommt sowieso nicht in Frage. Wie ein fürsorglicher Reiseleiter will er die Leute bei der Hand nehmen und von Ort zu Ort führen bis zum Höhepunkt der ganzen Reise. Diese Reise könne zwar sehr lang dauern. Doch ein überstürztes Konfrontieren mit schwierigen Inhalten sei kontraproduktiv und mache es den Menschen unnötig schwer.

Merken wir, zu was der Verkündiger sich damit macht? Er beansprucht für sich die Fähigkeit zu beurteilen, „wo die Leute momentan sind“. Er scheint stets zu wissen, wieviel ihnen zuzumuten ist, was sie ärgern könnte, was ihnen sauer aufstossen könnte und wovor sie zurückschrecken würden. Seine – wie er selber sagt – einfühlsame Art ist in Wirklichkeit bevormundend; wie ein Vormund, der für sein Mündel Entscheidungen trifft. Doch – bedenken wir: Nur Gott selber weiss, was uns wirklich gut tut. Er gab uns die Heilige Schrift. Das Wort Gottes sucht einen jeden von uns dort auf, wo wir uns versteckt halten. Ein Verkündiger, der sich anmasst, seine Gemeinde vor der Botschaft der Bibel zu „schützen“ begibt sie auf ein gefährliches Terrain; auf jenes der Pharisäer, die „den Menschen das Himmelreich verschliessen“ (Matthäus 23,13). 

Dritte Fallgrube: „Der Gottesdienst ist ein Werbeprospekt für die Kirche“

Zweifellos liegt in dieser Aussage eine tiefe Weisheit. Doch, wir können nicht bestimmen, womit wir als Kirche die beste Werbung sind. Nehmen die Kirchenleute diese Werbetätigkeit selber in die Hand, kommt Bedenkliches dabei heraus: Man möchte sich als Kirche möglichst locker geben. Auf jeden Fall soll niemand den Vorwurf des Verstaubt-Seins oder des Miefs erheben können: dies wäre doch das allerschlimmste Urteil, das man über die Kirche fällen könnte! Ist es so schlimm? Einladend und fröhlich soll es zugehen im Gottesdienst. Sogar Witze werden bewusst an dieser oder jener Stelle platziert. Meistens ist es ein Humor, über den wir privat nicht sonderlich lachen würden; doch jetzt lachen wir laut und schauen uns gegenseitig an mit Gesichtern, die zu sagen scheinen: “Sind wir Kirchenleute nicht coole Menschen, weil es unter uns so beschwingt und unkonventionell zu und her geht?“

Mit der Platzierung solch humoristischer Einlagen und persönlicher Anekdoten kann sich der Verkündiger eine Menge Arbeit ersparen – denn er füllt damit seine vorgeschriebene Länge der Predigt ohne anstrengendes theologisches Nachdenken. Auch dem Gottesdienstbesucher kommt es gelegen: Das Zusammensein ist fröhlich und unterhaltend – und nie taucht die Gefahr auf, er müsse sich den harten Forderungen der Bibel stellen!

Der Gottesdienst als Werbeprospekt? Ja, gerade die wachsten unter den säkularen Zeitgenossen verstehen diese Werbung sehr wohl: Die Kirche stellt sich in erster Linie selber dar. Sie möchte zeigen, dass sie nicht von gestern ist, sondern sich nahtlos einreiht in weltliche Vereinigungen aller Art. Genau diese Zeitgenossen sind es, die sich enttäuscht von der Kirche abwenden. Sie gingen davon aus, die Kirche hätte etwas zu sagen, dass man sonst nirgends zu hören bekommt. Stattdessen versucht sie mit allen Mitteln, sich von ihrer Umwelt nicht zu unterscheiden!

Zum Autor

Pfr. Willi Honegger ist Pfarrer in Bauma ZH.