«Fallgruben» in Predigten (Teil 2/4)

Es ist keine einfache Aufgabe, diese Fallgruben in der Verkündigung zu vermeiden. Für den Verkündiger ist dies anspruchsvoll, denn er hat womöglich mehr von den Wünschen der Gegenwart verinnerlicht, als er sich bewusst ist. Auch für die Gottesdienstgemeinde ist es schwierig, diese Fallgruben als solche zu aufzudecken. Stets ist es angenehmer, einer harmonischen Verkündigung zu lauschen als sich dem Stachel des Anspruchs Gottes in seinem Wort auszusetzen. Es schmeichelt uns, wenn das Potenzial des Menschen herausgehoben wird. Die tiefe evangelische Wahrheit aber lautet: Allein die Gnade Jesu hilft uns. Es mag sein, dass wir uns davon zunächst unangenehm durchschaut fühlen. Wahr ist es trotzdem und nur diese Wahrheit rettet uns.

Vierte Fallgrube: „Auf die Persönlichkeit des Predigers kommt es an!“

Politik, Wirtschaft und Wissenschaft versuchen, das Persönliche ihrer Führungskräfte zu vermarkten. Köpfe sollen überzeugen. Leitfiguren müssen sich menschlich und nahbar zelebrieren. Privates stellt man medienwirksam zur Schau. Das wecke Vertrauen: „Seht, wie menschlich es in unsern Führungsetagen zu - und hergeht!“

Soll die Kirche auch auf diesen Zug aufspringen? Jedem Verkündiger des Evangeliums wird damit eine grosse Last auferlegt. Doch der Zeitgeist kennt hier keine Gnade und befiehlt ihm klipp und klar: „Nur so kommst Du heutzutage an. Nur so kannst Du bei den Leuten punkten.“ Nun ächzt der Verkündiger unter dem Druck dieser Forderung: Seine Ausstrahlung ist von jetzt an seine Botschaft. Nicht mit der Wahrheit, sondern mit seiner Persönlichkeit muss er überzeugen. Von sich selber wird er bei jeder Gelegenheit erzählen. Betroffenheit muss er zeigen für alles und jedes. Ganz egal, welche Überzeugungen er vertritt – nur dieses Eine ist wichtig: Authentisch muss es hinüberkommen, seine Persönlichkeit muss darin erkennbar sein. Um diesem Druck standzuhalten wird er nun sich selber und seine Wirkung und nicht mehr die Bibel studieren. Und seine Gemeinde wird vor allem seine Ausstrahlung beurteilen und nicht mehr die von ihm verkündigte Botschaft. Bei all dieser Schauspielerei verlieren sowohl der Verkündiger wie die Gemeinde ihre geistliche Orientierung.

Doch - Ausstrahlung bekommen wir, wenn das Wort Gottes unsere tägliche Nahrung ist. Ein Verkündiger, der tief verankert ist in der Wahrheit Gottes der Heiligen Schrift, ist auch ein guter Kommunikator. Was uns bis ins Innerste durchdringt, geben wir auch überzeugend weiter. 

Fünfte Fallgrube: „Man darf die Leute nicht vor den Kopf stossen!“

So einleuchtend diese Alltagsweisheit auch ist, so schwer lässt sie sich im Alltag der Kirche umsetzen. Woher weiss man denn so genau, womit man die Leute vor den Kopf stösst? Und wie lässt sich verhindern, dass jemand vor den Kopf gestossen wird? Viele heutige Christenmenschen sagen, dass sie dies sehr wohl wüssten.

Was ist mit einem Christen geschehen, der behauptet, die Grundsätze seines Glaubens würden andere vor den Kopf stossen? Warum hat er sich denn für den Glauben an Jesus Christus entschieden, wenn er gerade dies andern Menschen nur in kleinen Häppchen und mit allergrösster Zurückhaltung zumuten möchte? Wie weit hat er sich von der christlichen Lehre entfernt, dass er seine Mitmenschen möglichst davor bewahren will? Ist er denn ein besserer Kenner des menschlichen Herzens als Gott, der uns sein Wort in der Bibel zumutet? Glaubt er tatsächlich, seine Light-Version des Evangeliums tue den Menschen besser als das Wort Gottes der Heiligen Schrift? Ein solcher Verkündiger wird stets mit angezogener Handbremse predigen. Er wüsste, was er zu verkündigen hätte – will es aber nicht tun, da er befürchtet, seine Zuhörer könnten dabei Schaden nehmen. Über kurz oder lang wird er sich selber zum Rätsel, da sich etwas Schizophrenes in seinen Dienst einschleicht. Und die Gemeinde wird sich selber auch zum Rätsel: Zwar möchte sie als Institution weiter existieren – doch sie will es nicht offen sagen, warum sie als Gemeinde Jesu überhaupt entstanden ist; warum ihr die Bibel anvertraut und auf wessen Name sie getauft wurde. Für den weltlichen Zuschauer von aussen ist die Sache hingegen völlig klar: Die Kirche schämt sich, das zu sein, was sie ist. Sie will nicht dazu stehen, welchem Herrn sie gehört und auf welche Zukunft sie unterwegs ist. 

Sechste Fallgrube: „Der Sinn ist wichtig – nicht der Wortlaut!“

Es ist eine verführerische Fallgrube, denn in ihr lässt es sich gemütlich leben. Die politischen Debatten über Verfassungsfragen sind eine gute Illustration dafür. Bei Politikern ist es beliebt, Verfassungsänderungen zu umgehen. Ihr Argument: Heutzutage verstehe man den Wortlaut der Verfassung anders als früher. Demzufolge sei eine Änderung der Staatsverfassung nicht nötig. Ob die Verfassungsgerichte in den westlichen Demokratien weiterhin auf eine wortgetreue Anwendung pochen, ist ungewiss. Tun sie es nicht, ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Die Kirchen gehen seit langem in dieser fahrlässigen Art mit der Bibel um. Typische Aussagen dafür lauten so: „Wir wissen alle, wie man im Sinne Jesu lebt!“- „Das Wichtigste in der Bibel ist dies… oder das..!“-  „Man soll nicht streiten um Worte, denn im Grunde meinen wir alle das Gleiche!“ Solche Aussagen wirken sympathisch, führen uns aber auf glitschiges Terrain: Nun erübrigt sich die Frage, ob das Wort der Heiligen Schrift dies stützt oder ablehnt. Was zählt, ist einzig unser JA zum sogenannten „Sinn“ des Glaubens. Fragt man nach, was dieser „Sinn“ denn konkret sei, fallen die Antworten oberflächlich aus: „Das Wichtigste ist die Liebe; Gott geht es stets um das Leben und die Absicht Jesu ist der Friede.“ Damit lassen sich scheinbar alle strittigen Fragen lösen: Von der Sexualethik bis zur Ökologie; sogar der Krieg liesse sich damit vermeiden. So werden diese Maximen (Liebe, Leben, Friede) zu Leerstellen, die man nun nach Belieben mit den Ideologien der Gegenwart auffüllt. Der sogenannte „Sinn“ des christlichen Glaubens verwandelt sich unter der Hand zu etwas Trendigem: Einsatz für Diversity, Kampf gegen den Klimawandel, Pazifismus als Abwehr des Krieges. Ist es nicht wunderbar, wenn unser Glaube exakt das Gleiche sagt, wie die Welt um uns herum? Nun muss die Welt uns doch lieben!

Damit vollzieht sich etwas Verhängnisvolles: Die Bibel und die Bekenntnisschriften der Christenheit werden auf eine Art Geburtshelfer reduziert: Ist das Kind einmal geboren, wird die Hebamme überflüssig! Dieser Umgang mit der Bibel vollzieht sich auch in Gemeinden, die sich selber durchaus als bibeltreu bezeichnen. Der Wortlaut der Heiligen Schrift gerät schlicht an den Rand des Geschehens, weil man den eigenen Formulierungen mehr zutraut. Ist es denn so, dass wir mit unseren Worten besser von Gott reden können als die Worte der Bibel dies tun? Dürfen wir Gott und Jesus Christus mit anderen Titeln ansprechen, als die Heilige Schrift sie uns lehrt?

Nein, die Kirche darf dies nicht! Sie muss in allem, was unsere Welt bewegt, um eine in der Bibel verankerte Antwort ringen. Sie muss in all ihrem Tun und Argumentieren nach dem Willen Gottes fragen, der uns einzig in seinem Wort offenbart wurde. Nur durch die Rückkehr zur ganzen Heiligen Schrift des Alten und Neuen Bundes bekommt die Kirche die Vollmacht, jene „fremden Gäste“, die es sich an ihrem Tisch gemütlich gemacht haben, zu entlarven und sie wegzuweisen. Am Tisch unseres Herrn werden all jene genährt, die IHM und seinem Wort gehorsam sein wollen.

Zum Autor

Pfr. Willi Honegger ist Pfarrer in Bauma ZH.