«Fallgruben» in Predigten (Teil 3/4)

Der 3.Teil dieser Betrachtungen behandelt jene Fallgruben, die – so scheint es - eine grosse Selbstverständlichkeit aussprechen. Es wäre unklug, ihnen a priori zu widersprechen, verkörpern sie doch tiefe Einsichten in das Evangelium. Erhebt man sie jedoch zu einem dominierenden Prinzip, verwandeln sie sich in heimtückische Diebe, die das Evangelium Jesu Christi ihrer Kraft und Vollmacht berauben. Es geht um den Appell zu mehr Verständlichkeit in der Verkündigung und um den Wunsch nach einer persönlich zugeschnittenen Botschaft des Glaubens.

Siebte Fallgrube: „Der Glaube muss verständlich sein!“

Zunächst geht es hier um etwas Unbestrittenes: Intellektuell überhebliche und mit akademischen Fachbegriffen angereicherte Predigten fördern das geistliche Leben der Gemeinde nicht. Ein Verkündiger, der sich nur kompliziert und langfädig auszudrücken vermag, macht den Gottesdienst zu einem Ort der Qual. Es ist einem Theologen zuzumuten, dass er mit geradlinigen Aussagen und mit einprägsamen Worten zur Gemeinde spricht.

Hinter der Forderung: „Der Glaube muss verständlich sein!“ verbirgt sich jedoch oft etwas Tieferes: „Der Glaube müsse in unsere Welt hineinpassen. Die christliche Lehre dürfe nur Dinge behandeln, die auch in unserem Alltag vorkämen. Die in Predigt und Liturgie verkündigten Eigenschaften und Titel für Gott dürften nicht diskriminierend sein und müssten dem gegenwärtigen Massstab von Korrektheit entsprechen. Was diese Kriterien nicht erfüllt, bleibe für den heutigen Menschen unverständlich.“

Kurz: „Der heutige Mensch kann sie nicht in sich aufnehmen, da sie ihm fremd sind.“ Nun fragt sich der mit dieser Forderung eingedeckte Verkündiger, wie er seinen Dienst am Evangelium tun kann: Die unsichtbare Welt, die schon vor der sichtbaren Wirklichkeit da war („Im Anfang war das Wort…“) – darf er darüber noch sprechen? Der dreieine Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist –, der schon von Ewigkeit her gegenwärtig ist – gehört das zur Erfahrungswelt des heutigen Menschen? Der Sühnetod Jesu am Kreuz, die Vergebung unserer Sünde, die Wunder in der Bibel und die Auferstehung der Toten am Ende der Zeit – passen sie in unsere Welt hinein? Der himmlische Vater, Jesus Christus als Herr der Welt, der Christ als gehorsamer Knecht Jesu – sind diese Begriffe diskriminierend und darum auszuradieren?

In solcher Weise in die Enge getrieben gerät der Verkündiger in eine grosse Versuchung: Er könnte seine Bibel nach Verständlichem (nach in unsern Tagen Annehmbarem) durchforsten und nur noch darüber predigen. Seine Bibel schrumpft dadurch auf ein schmales Büchlein zusammen – und auch jenen kleinen Rest wird er bald herausfiltern müssen, da auch dieser von „Unverständlichem“ durchseucht ist. Aber auch die Gemeinde wird erschrecken, auf welche Weise ihre lautstarke Forderung nach Verständlichkeit erfüllt wurde. Vielleicht wusste sie selber nicht, was sie da verlangte. Vielleicht aber war der Keim der Feindschaft gegen das Wort Gottes schon viel stärker in ihr am Werk, als sie es selber wusste!

Der Apostel Paulus schreibt: „Der natürliche Mensch aber erfasst nicht, was aus dem Geist Gottes kommt, denn für ihn ist es Torheit…“ (1.Korinther 2,14) Die Kirche unserer Tage hat sich von ihren Träumereien zu verabschieden, sie könne sich aus eigener Kraft unseren Zeitgenossen verständlich machen. Stattdessen darf sie sich gehorsam und vertrauensvoll unter das Wort der Heiligen Schrift stellen. Der Heilige Geist bewirkt diese Umkehr der Kirche. Er wird auch dafür sorgen, dass all jene das Wort Gottes verstehen, die er ruft. Der Geist Gottes ist der wahrhaftige Ausleger der Bibel. Er öffnet unser Herz für jenes Verstehen, über das wir ohne sein Wirken gar nicht verfügten.

Achte Fallgrube: „Es geht um den Einzelnen!“

Sympathischer könnte man es nicht herüberbringen, wie man zu den Leuten reden soll: „Der Einzelne ist wichtig, der Mensch in seiner Individualität muss im Zentrum aller Bemühungen stehen, die persönlichen Anliegen der Leute müssen ernst genommen werden!“ Mit solcherlei werden wir von Politikern, von der Wissenschaft und der Werbung umworben. Seit einiger Zeit reiht sich auch die Kirche in diese „Werbekampagne“ ein: Die Predigten werden auf eine Botschaft für den einzelnen Menschen zugeschnitten. Die Botschaft der Bibel wird zur persönlichen Anrede an einen Einzelnen umgeformt: „Es geht nur um dich und Jesus. Gott hat für dich ein persönliches Ziel. Der Heilige Geist will dich an den dir gebührenden Platz führen!“ In all dem liegt eine tiefe Weisheit evangelischer Verkündigung und Seelsorge. Der einzelne Mensch wird von Jesus aufgesucht und für das Reich Gottes gewonnen. Darum kann auch der isolierte Zöllner Zachäus die Botschaft Jesu vernehmen. Doch jener vereinsamte Neureiche in Jericho wird dadurch herausgerissen aus seiner Vereinzelung. Er wird wieder Teil des Volkes Gottes, an das das Wort Jesu gerichtet ist. Zachäus wird also zurück geführt in die Gemeinschaft derer, die von alters her die Hörer des Wortes Gottes sind.

Die gesamte Bibel ist eine Botschaft an das Volk Gottes, an die Gemeinschaft der Glaubenden, an die Kirche. Das alte Volk Israel empfängt Gottes Gebot am Sinai. Auf der Wanderung durch die Wüste und im neuen Land Kanaan hört es als Gemeinschaft das Wort Gottes. Die Geschichte der Erzväter im 1.Buch Mose ist eine Verkündigung an das Ganze des Volkes: „Seht, dies sind eure Anfänge als Volk. Aus der Verheissung an eure Väter seid ihr entstanden!“ Die Psalmen, so individuell ihr Wortlaut auch erscheinen mag, sind gemeinsame Gebete der Gottesdienstgemeinde im Tempel von Jerusalem. Die Propheten des Alten Bunden reden nicht zum einzelnen Israeliten, sondern rufen das Volksganze zur Umkehr und unter die Verheissung Gottes. Im Neuen Testament sind die Evangelien die Botschaft für die im Namen Jesu versammelte Gemeinde. Die Paulusbriefe sind an Gemeinden gerichtet, in denen sie vorgelesen und gemeinsam besprochen werden. Die allgemeinen Briefe und die Offenbarung sind Rundschreiben an eine Vielzahl von Gemeinden, die in ihrer Bedrängnis Trost und Stärkung brauchen.

Man tut der Bibel Gewalt an, wenn man sie zu einer individuellen Botschaft umbiegt. Für das vor Gott versammelte Volk wurde sie geschrieben. In diesem Setting entfaltet sie ihre grösste Kraft. Die Botschaft der Heiligen Schrift führt uns zurück in die Gemeinschaft – zu jener verloren gegangenen Dimension des modernen Christen. Seit längerer Zeit wird im Protestantismus dieser Gemeinschaftscharakter der Bibel vernachlässigt. Man möchte eine Individualbotschaft an die Menschen aussenden, weil einem alles Kollektive verdächtig oder vereinnahmend vorkommt. Und nun leeren sich die Kirchen mehr und mehr. Mancher Verkündiger unserer Tage reibt sich verstört die Augen über diesen traurigen Vorgang. Und dabei übersieht er, wie er gerade selber dazu beigetragen hat mit seiner individualistischen Verkündigung: ‚Nur auf dich und Gott kommt es an! Einzig du und dein Glaube sind gemeint! Jeder darf sich Gott so vorstellen, wie es zu ihm passt, usw.‘ Nun tun die Leute, was man sie geheissen hat: Man kann doch für sich allein auch ein guter Christ sein. Es geht doch nur um mich und meine individuell gestaltete Beziehung zu einem für meine Bedürfnisse massgeschneiderten Gott!

Damit verliert der Christ eines seiner grundlegendsten Merkmale – sein Eingebettet-Sein in die Gemeinschaft der Glaubenden, seine sichtbare Zugehörigkeit zur Gemeinde der Nachfolger Jesu. Nun weiss er nichts mehr von der Kraft des gemeinsamen Hörens; nichts mehr von der Vollmacht, die aus dem gemeinsamen Singen, Beten und Bekennen herauswächst. Da ist nichts mehr sichtbar vom grossen Schatz des Glaubens, der für die nächste Generation aufbewahrt und weitergetragen wird. Und die Kirche als Ganzes verliert damit jeglichen Zeugnischarakter für die Welt. Denn – wo ist die Kirche noch, wenn jeder privat für sich seinen eigenen Glauben zusammenzimmert?

Im Apostolischen Glaubensbekenntnis sagen wir: „Gemeinschaft der Heiligen“. Dies ist unaufgebbarer Teil des Glaubens an Jesus Christus. Nie konnte die Kirche Jesu länger als 1-2 Generationen überleben, wenn sie nicht gemeinsam die Botschaft der Bibel hörte, gemeinsam den Gottesdienst feierte. Die Bibel formt uns nicht zu Individualchristen, sondern zur Gemeinde Jesu Christi.

Zum Autor

Pfr. Willi Honegger ist Pfarrer in Bauma ZH.