Work in Progress

Meine Kirche, mein Glaube 3 (Serie)

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Hintergrund des Artikels

Was ist das Fundament, auf dem wir als Kirche stehen? Und was bedeutet das für unser Miteinander und unser alltägliches Leben? Dem gehen wir in einer neunteiligen Artikelserie auf die Spur. Die Artikel basieren auf den Predigten aus der aktuellen Predigtreihe «Mini Chile, min Glaube» («Meine Kirche, mein Glaube») der Evangelischen Kirchgemeinde Tägerwilen-Gottlieben, wo ein Vorstandsmitglied des Netzwerks Bibel und Bekenntnis Schweiz, Philipp Widler, als Pfarrer tätig ist.

Im Rahmen eines Strategieprozesses machte sich die dortige Kirchenvorsteherschaft auch Gedanken über ihre Glaubensgrundlagen. Anfangs 2023 verabschiedete sie ein entsprechendes Dokument, in dem sie die Glaubensgrundlagen der Kirchgemeinde festhält. Das Dokument ist auf der Homepage der Kirchgemeinde unter folgendem Link abrufbar: https://www.evang-taegerwilen.ch/dok/362

Der folgende Artikel basiert auf der dritten Predigt der Reihe von Hanna Röthlisberger im Gottesdienst vom 4. Februar 2024 in der Evangelischen Kirchgemeinde Tägerwilen-Gottlieben. Hanna Röthlisberger ist in der Kirchgemeinde als Diakonin in Ausbildung tätig. Vom Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche übersetzt und inhaltlich leicht ergänzt und angepasst von Pfr. Philipp Widler.


Einleitung

Wann hat sich zuletzt in deinem Leben etwas verändert? Das kann etwas Grosses oder etwas Kleines gewesen sein, etwas Positives oder etwas Negatives. Wenn du nun daran zurückdenkst, was hat die Veränderung ausgelöst? Hast du selber etwas verändert oder ergab sich die Veränderung durch äussere Umstände? Hast du vielleicht etwas gelernt, das dich veränderte? Geschah etwas in deinem Leben, das dich persönlich veränderte?

Veränderungen gehören zum Leben. Manche mögen diese Tatsache, mögen Veränderungen. Andere vermeiden sie lieber. Das ist unter uns Christen nicht anders. Und doch gehört gerade zum Christsein Veränderung dazu.

Wir sind mitten in der Reihe «Meine Kirche, mein Glaube», in der wir uns die Glaubensgrundlagen der Kirchgemeinde Tägerwilen-Gottlieben genauer anschauen. Im Abschnitt, den wir heute behandeln, heisst es:

«Menschen sollen zu mündigen Jüngern von Jesus werden, indem sie Gottes Gnade und Bestimmung für ihr Leben finden und im Alltag umsetzen dürfen. Wir helfen einander, Begabungen zu entdecken, zu entwickeln und sie einzusetzen. Wir sind uns bewusst, dass nur Gott selbst durch den Heiligen Geist das Herz eines Menschen verändern kann und jeder seinen eigenen Weg mit Gott geht.»

1. Tradition oder aktiver Glaube?

Das Ziel des christlichen Glaubens ist nicht eine Horde hirnloser Lemminge zu produzieren. Vielmehr sollen wir als mündige Christen unseren eigenen Weg mit Gott finden. Aber trotzdem sind wir nicht als Einzelmasken unterwegs, sondern sollen uns dabei gegenseitig unterstützen.

Als ich diesen Abschnitt das erste Mal las, stolperte ich über das Wort «mündig». Ehrlich gesagt ist mir dieses Wort nicht sehr geläufig. Ja, ich weiss sehr wohl, dass ich mit 18 Jahren mündig wurde, also erwachsen im rechtlichen Sinne. Aber was bedeutet das nun für mein Christsein? Was heisst es, ein mündiger Christ zu sein?

Deshalb entschied ich mich, nachzuforschen, was das genau bedeuten soll. Wie man das heute ja machen kann, habe ich kurzerhand Chat GPT gefragt: «Was ist ein mündiger Christ?» Daraufhin lieferte mir die künstliche Intelligenz folgende Definition:

«Der Begriff ‹mündiger Christ› kann in einem religiösen Kontext verwendet werden, um eine Person zu beschreiben, die sich bewusst und eigenständig für den christlichen Glauben entschieden hat und sich aktiv damit auseinandersetzt. Ein mündiger Christ ist jemand, der seine religiösen Überzeugungen versteht, reflektiert und in seinem Leben praktiziert, anstatt sie einfach passiv anzunehmen. Diese Person könnte beispielsweise regelmäßig die Bibel lesen, beten, an religiösen Aktivitäten teilnehmen und sich bemühen, christliche Werte und Lehren in ihrem täglichen Leben umzusetzen. Es geht also darum, dass eine Person bewusst und aktiv ihren Glauben lebt und nicht einfach nur einer religiösen Tradition folgt, ohne sich damit auseinanderzusetzen.»

Chat GPT kann ja so manchen Mist von sich geben, aber hier scheint es den Ton ziemlich gut getroffen zu haben. Mündig zu sein bedeutet also aktiv zu glauben und nicht einfach nur ein passiver Konsument zu sein.

Besonders spannend empfand ich, wie Chat GPT Religion und Glaube differenziert. Es unterscheidet «religiöse Tradition» und «Glaube». Oft werden diese beiden Worte ja miteinander assoziiert. Aber sie sind eben nicht ganz dasselbe.

Religion hat mehr mit Fakten und Äusserlichkeiten zu tun. Religion gibt einem das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie kann einem eine Richtung geben im Leben, beispielsweise durch Moral- und Wertvorstellungen. Sie kann einen gewissen Teil deines Lebens definieren. Sie sagt aus, ob ich evangelisch oder katholisch bin oder ob ich zum Islam oder Judentum gehöre, oder Atheist bin. Und meist haben dann Mitmenschen gleich eine Vorstellung von einem. Wie in der Politik, geben diese Labels eine Einordnung.

Zur Religion gehören auch Traditionen. Im Christentum sind das beispielsweise Festtage wie Weihnachten oder Ostern, oder kirchliche Anlässe wie Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung oder der Sonntagsmorgengottesdienst.

Doch all diese Äusserlichkeiten bedeuten noch nicht, dass du auch eine persönliche Beziehung mit Gott hast. Hier kommt der Glaube ins Spiel. «Glaube» meint in diesem Fall eine persönliche Beziehung zu Gott. Glaube ist etwas Aktives. Das zeigt sich schon sprachlich daran, dass «ich glaube» ein Verb ist. Es ist etwas, was man tut.

Eine mündige Christin respektive ein mündiger Christ zu sein bedeutet also, eine aktive und bewusste Beziehung zu Gott zu haben.

2. Auf dem Weg zur Mündigkeit

Ich möchte euch kurz aus meinem Leben erzählen. Ich bin christlich aufgewachsen. Ich besuchte den Religionsunterricht, ging in eine Jungschar, war in der Jugendgruppe der Kirche und bin konfirmiert worden. Von klein auf ist also der Glaube an Gott mein täglicher Begleiter. Vor zweieinhalb Jahren begann ich mein Studium am Theologisch Diakonischen Seminar (TDS) in Aarau, wo ich zur Sozialdiakonin ausgebildet werde.

Schon im ersten Jahr hatten wir eine Reihe theologischer Fächer, in denen wir uns mit der Bibel und den Grundsätzen unseres Glaubens auseinandersetzten. In diesem Jahr veränderte sich sehr viel für mich. Ich fing plötzlich an, mich viel bewusster und aktiver mit meinem Glauben auseinanderzusetzen. Dabei realisierte ich, dass ich all das, was ich von klein auf glaubte, nie wirklich hinterfragt hatte. Ich hatte es einfach passiv angenommen und geglaubt. Nun aber musste ich anfangen, mich mit meinem Glauben aktiv auseinanderzusetzen.

Das ist nicht nur einfach. Es gibt manche Sache, mit der ich zu hadern hatte und habe. Gleichzeitig realisierte ich auch, wie mein Fundament gestärkt wurde. Indem ich mich bewusst fragte, «Hey, glaub ich das wirklich? Und wieso glaube ich das?», wurde mein Glaube auf eine viel stabilere Grundlage gestellt.

Eine solche aktive und bewusste Auseinandersetzung mit dem Glauben ist ein Weg, den man bewusst gehen muss. Glaube ist ein Weg, ist ein Prozess. Ein solcher Prozess kommt nur in Gang, wenn ich mir erlaube, zu meinen Fragen und Zweifeln, zu meinem Hadern zu stehen. Und er kommt nur in Gang, wenn ich mich löse von der Vorstellung, dass der christliche Glaube etwas Statisches ist.

Christ zu sein bedeutet, Jesus nachzufolgen. Ja, Traditionen und Äusserlichkeiten können Teil von dieser Nachfolge sein, aber sie machen niemals die Nachfolge aus. Was ist der christliche Glaube für dich? Ist er in erster Linie eine Tradition oder ein Status? Bist du Christ, weil du Kirchenmitglied bist?

Jesus wollte nie eine Religion gründen. Sein Ziel ist, Menschen in eine Beziehung zu Gott zu bringen. Eine solche Beziehung ist immer aktiv, sie ist immer etwas Dynamisches. Da gibt es Hoch und Tiefs, da gibt es Erlebnisse und Zweifel.

Aber in allen Herausforderungen lässt Gott uns nicht alleine. In Johannes 14,26 heisst es: «Der Heilige Geist, den euch der Vater an meiner Stelle als Helfer senden wird, er wird euch alles erklären und euch an das erinnern, was ich gesagt habe.» Gott schenkt uns den Heiligen Geist. Gott schenkt uns einen Wegbegleiter. Durch ihn hilft Gott uns die Herausforderungen zu meistern, gerade wenn wir etwas nicht verstehen oder keine Antwort finden. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns durch den Heiligen Geist Anteil schenkt an seiner Weisheit und an seiner Sicht der Dinge. Und manchmal schenkt er auch einfach Frieden. Frieden auch in einer Situation, wo wir noch unterwegs sind, wo wir das Ziel noch nicht so genau sehen. «Auch wenn ich nicht mehr da bin, wird doch der Friede bei euch bleiben. Ja, meinen Frieden gebe ich euch – einen Frieden, den euch niemand sonst auf der Welt geben kann. Deshalb seid nicht bestürzt und habt keine Angst!» (Johannes 14,27)

Zum Christsein, zum aktiven Glauben gehört das Eingeständnis, dass wir manche Dinge in diesem Leben nie verstehen werden. Aber genau dann kann Gott uns einen Frieden schenken, der unser Verständnis übersteigt.

Schluss

Der Weg mit Gott ist ein spannender Weg, der sich lohnt. Es ist ein Weg, der sich unendlich mehr lohnt als der tote Weg von Religion und reiner Tradition. Und ja, dieser Weg bringt ganz viele Veränderungen mit sich. Wie es in 2. Korinther 5,17 heisst: «Gehört also jemand zu Christus, dann ist er ein neuer Mensch. Was vorher war, ist vergangen, etwas völlig Neues hat begonnen.»

Wenn du mit Gott unterwegs bist, dann schenkt er dir ein neues Leben. Er will dich verändern und zu dem machen, wozu er dich bestimmte, als er dich schuf. Aber für das musst du bereit sein, den Glauben als etwas Aktives zu begreifen. Dafür musst du bereit sein, dich auf den Weg zu machen und dich Fragen und Unklarheiten zu stellen. Und du musst bereit sein, dein altes Leben loszulassen. Darum stelle ich dir jetzt diese Frage: Bist du bereit den Weg mit Gott zu gehen und dich vom Heiligen Geist verändern zu lassen?

Zur Autorin

Hanna Röthlisberger ist Studentin am TDS Aarau und absolviert parallel dazu im Rahmen ihrer Ausbildung ihr Praktikum in der Evangelischen Kirchgemeinde Tägerwilen-Gottlieben. Sie wohnt in Weinfelden.


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