Den Namen «Jesus» umschiffen

und andere Predigerpirouetten

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Einleitung

Wie es üblich stelle ich mich zu Beginn kurz vor. Mein Name ist Philipp Widler. Zusammen mit meiner Frau Simone bin ich seit inzwischen 7 Jahren im Pfarramt in Tägerwilen-Gottlieben am Seerhein im Thurgau. Wir haben drei Kinder im Alter von 3 bis 8 Jahren. Neben meinem Pfarramt engagiere ich mich auch im Netzwerk Bibel und Bekenntnis Schweiz und bin da seit Beginn im Vorstand aktiv.

So viel für den Moment. Ich werde im Laufe dieses Vortrags noch detaillierter auf meinen Werdegang eingehen. In diesem habe ich nämlich einen Weg hin zu Predigerpirouetten gemacht und in den letzten Jahren mehr und mehr gelernt, diese wieder abzulegen. Denn eigentlich möchte ich in meiner Verkündigung klar sein. Und ich bin sicher, den meisten von euch geht es gleich.

Zuerst noch eine Vorbemerkung. Es gibt Predigerinnen und Prediger, die anfälliger sind für Predigerpirouetten als andere. Manche von euch mögen sich also ob meinem Referat am Kopf kratzen. Wie kann man nur so Wischiwaschi sein? Euch sage ich: Dieses Referat ist nicht in erster Linie für euch. Aber wenn nur schon euer Verständnis wächst für diejenigen, die mit der Klarheit kämpfen, sodass ihr uns in unserem Ringen unterstützen könnt, ist viel gewonnen.

1. Was wir eigentlich alle wissen

In Matthäus 10,32 sagt Jesus: «Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.» Kein Weg führt daran vorbei, dass wir uns klar und deutlich zu Jesus bekennen. Und das tun wir auch, oder? Oder?

In der Theorie ist das klar. Wir wissen mit 1. Korinther 1,18, dass die Botschaft vom gekreuzigten Jesus eine Kraft Gottes ist für alle, die von Jesus gerettet sind. Ich beobachte aber bei mir und anderen, dass das in der Praxis nicht immer so einfach umsetzbar ist. Gerade als Landeskirchenpfarrer begegne ich immer wieder Menschen, für die der erste Teil dieses Bibelwortes gilt: «Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden» (1. Korinther 1,18).

Für manche ist das kein Problem. Sie haben so etwas wie das Paulus-Gen und können mit ihm sagen: «Will ich denn jetzt Menschen oder Gott überzeugen? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.» (Galater 1,10) Paulus geht es am Allerwertesten vorbei, was andere Menschen über ihn denken. In meinem Fall lautet jedoch die ehrliche Wahrheit: Ich muss darum kämpfen, diese Menschengefälligkeit abzulegen.

Da hilft es nicht, dass ich liebe Mitchristen kenne, die scheinbar eine Überdosis dieses Paulus-Gens erhalten haben. Mitchristen, denen es so egal zu sein scheint, was andere Menschen denken, dass die Liebe zu den Mitmenschen auf der Strecke bleibt. Mitchristen, die aufgrund ihrer Klarheit nicht das Evangelium ausstrahlen, sondern Rechthaberei und Arroganz. Und so möchte ich nicht sein.

Dabei stehe ich aber in Gefahr, auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Gerade der landeskirchliche Kontext und der Weg dorthin sind dabei eine Herausforderung. Schliesslich – so das grosse landeskirchliche Mantra – müssen wir für alle da sein und dürfen wir niemanden abschrecken. Wirklich? Dummerweise widerspricht dieses Mantra dem Dienst und Anspruch Jesu. In Johannes 6,60 heisst es nach einer seiner Reden: «Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?» Und in Vers 66 lesen wir: «Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm.»

James MacDonald, der durchaus streitbare Gründer der Harvest Bible Chapel, bringt es meines Erachtens gut auf den Punkt: «Wenn nicht Menschen von deinem Dienst weglaufen und sagen ‚Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?‘, dann hast du keinen Dienst, wie Jesus ihn hatte.»[2] Ich erlebe es nicht oft, dass sich Menschen schockiert von meiner Rede abwenden. Das ist ein Warnsignal. Wie ist das bei dir?

2. Wie ich lernte Predigerpirouetten zu schlagen

Ich habe angekündigt, etwas mehr zu meiner Biographie zu sagen. Nicht weil ich sie für ausserordentlich interessant halte. Vielmehr glaube ich, dass sich darin typische Eckpunkte finden, warum fromme Frauen und Männer anfangen in ihren Predigen Pirouetten zu schlagen.

Als Jugendlicher kam ich in einer klar evangelikal geprägten Landeskirche zum Glauben. Ich war in der Folge ein richtiger Kampfevangelikaler. Meine Maturaarbeit verfasste ich zum Thema «Schöpfung oder Evolution?». Es hätte sicher kontroversefreiere Themen gegeben. Aber darum ging es mir: Die Wahrheit verteidigen!

Mein Glaube wurde weiter geformt durch eine Jüngerschaftsschule von Jugend mit einer Mission und meinem Studium am IGW. Später wechselte ich an die STH Basel und schrieb mich parallel an der Universität Basel ein im Hinblick auf mein Berufsziel, Pfarrer zu werden. Einiges änderte sich in dieser Zeit. Nicht an der Basis meines Glaubens, wo ich fester stand denn je zuvor. Das Studium an der STH stärkte mein Vertrauen in Jesus und die Bibel, während mich die Ansätze, die ich an der Universität kennenlernte, nicht wirklich überzeugen mochten.

Gleichzeitig sind aber auch ganz neue Horizonte aufgegangen, was ich bis heute als positiv erlebe. Einige fixe, menschliche Konzepte, die dem Evangelikalismus oft zu eigen sind, haben sich für mich aufgeweicht. Gott ist grösser als die menschlichen Konzepte, in die wir ihn manchmal zwängen. So realisierte ich mehr und mehr, wie beschränkt mein Verständnis Gottes und seines Wirkens oft ist.

Das führte zu manchen Konflikten mit evangelikalen Geschwistern, die gerne verbissen und besserwisserisch ihre Position als die einzig Richtige vertraten. So wurde mir z.B. die Ernsthaftigkeit meiner Nachfolge und meines Christseins abgesprochen, weil ich in der Thematik der Frauenpredigt eine andere Position vertrat als «die einzig biblisch richtige». Bis heute vermeide ich für mich deshalb den Begriff «evangelikal». Zu oft steht er für Denkschubladen, in die ich nicht mehr hineinpasse.

Ein zweiter neuer Horizont entstand in der Begegnung mit liberalen Studenten und Pfarrern. Immer wieder erfuhr ich, wie verletzend diese Menschen es erlebten, wenn ihnen z.B. mit dem Stempel «nichtgläubiger Pfarrer» jeglicher Glaube abgesprochen wird. Und ja, da bestanden oft fundamentale, theologische Unterschiede. Trotzdem schien Gott mit manchen von ihnen einen Weg zu gehen. Das verstehe ich bis heute nicht ganz. Aber es war und ist nicht meine Aufgabe, ihren Glauben und wo sie in der Beziehung zu Gott stehen zu richten. Das ist die Aufgabe von Jesus.

Nichts davon änderte mein klares Bekenntnis zur Bibel und zu Jesus. Das wurde besonders deutlich im toxischen Universitätsumfeld, wo ich immer wieder unter die Räder kam, weil ich nicht bereit war, davon abzurücken. Und daran änderte sich auch im Vikariat nichts.

Doch so klar und fest mein Fundament war und ich zu meiner Frömmigkeit stand, war es doch ermüdend, ständig Konflikte auszufechten. Es löste die Frage aus: Wie kann ich meine Klarheit beibehalten, ohne ständig andere gegen den Kopf zu stossen und damit letztlich vielleicht sogar von Jesus wegzustossen? Die Frage stellte sich im Hinblick auf meine Mitvikare, aber auch überhaupt im Kontext der Landeskirche mit ihrem oft sehr gemischten Publikum. Wie kann ich klar sein, ohne ein evangelikaler Eiferer zu sein, der die Gemeinde spaltet?

Als Folge meines Ringens veränderte ich meine Sprache. Der Inhalt blieb gleich. Die Überzeugungen blieben gleich. Lediglich die Verpackung machte ich kompatibler. Dachte ich mir. Was tatsächlich geschah, war, dass ich um den heissen Brei herumredete. Ich wurde weicher, um nicht in dieselbe Schublade gesteckt zu werden mit den Haudrauf-Evangelikalen.

Es war eine bewusste Anpassung mit unbewusstem Nebeneffekt und unbewussten Motiven. Ich wollte bewusst mein klares Fundament kompatibel machen mit meinem Kontext. Meine Version von «den Griechen ein Grieche werden» war das. Doch unbewusst verschleierte ich damit das klare Fundament, auf dem ich stand. Und dahinter steckte letztlich die Angst anzuecken und sich in der Gemeinde in die Nesseln zu setzen. Und das ist nichts anderes als fehlendes Gottvertrauen.

Ich glaube nicht, dass ich mit meiner Geschichte alleine bin. Ich beobachte Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Gefühl ringen: «Ich kann doch nicht so reden vor meiner Gemeinde». Inzwischen bin ich aber überzeugt: Das muss nicht so sein. Bevor ich aber darauf eingehe, wie ich mich auf den Weg zurück zur Klarheit gemacht habe, möchte ich einige typische Anpassungssymptome betrachten.

3. Die typischen Symptome

Zuvorderst steht da für mich der Gerbrauch von «Christus» statt «Jesus». So sah meine Strategie insbesondere an der Universität aus. Aber wo ist das Problem? Jesus ist der Christus, das ist doch synonym? Genau so sah mein Selbstbetrug aus. Ich ändere ja nichts an meinem Fundament.

Und prinzipiell stimmt das ja. Der Gebrauch des Titels «Christus» ist nicht per se falsch. Das Gleiche gilt für andere Bezeichnungen wie «Allmächtiger», «grosser Gott», «Heiland» oder «Sohn Gottes». Alle biblisch und korrekt. Der Gebrauch solcher Umschreibungen ist nicht falsch. Das Problem ist, dass sie gerne als Chiffre benutzt werden, die nicht sofort Anstoss erregen.

So erlebte ich es. Wenn ich «Christus» sagte, konnte ich von Jesus sprechen, ohne gleich anzuecken. Ein theologisch liberaler Zuhörer versteht unter Christus halt einfach ein geistliches Prinzip oder ein Symbol. Das ist das Attraktive: Wenn ich von «Christus» spreche, kann jeder für sich selber entscheiden, was er damit macht.

Der Name «Jesus» ist anders. Jesus ist ein Stolperstein. «Jesus» steht für die echte, historische Person. Wenn ich sage «Jeder, der Christus nachfolgt, wird gerettet», findet sich auch jemand darin wieder, der Christus symbolisch versteht. Wenn ich aber sage «Jeder, der Jesus nachfolgt, wird gerettet», dann bedeutet Nachfolge viel eindeutiger, diesem historischen Jesus nachzufolgen, dem Jesus, der wirklich gestorben und wirklich leibhaftig am Ostersonntag auferstanden ist.

Gehört die Bezeichnung «Christus» also auf eine rote Liste? Natürlich nicht. Aber ich plädiere dafür, «Christus» nur zu benutzen, wenn der Titel mit Inhalt gefüllt wird und mit der konkreten, historischen Person Jesus verknüpft wird.

Und nicht nur der Begriff «Christus» verliert seine Schärfe, wenn er nicht konkretisiert wird. Das Gleiche gilt für andere fromme Worte und Floskeln. Es ist einfach Begriffe wie «Sünde», «Kreuz», «Erlösung», «Heil» oder «Vergebung» in den Raum zu werfen. Und solange sie leere Floskeln bleiben, ecken sie meistens auch nicht an. Unsere Aufgabe als Prediger und Predigerinnen ist es, diese Begriffe immer wieder neu durchzubuchstabieren, zu erklären und zu füllen. Aber das füllt sie auch mit dem Potenzial, anzuecken. «Sünde» eckt nicht an, wenn der Zuhörer an die Tafel Schokolade denkt, die er gestern Abend noch verdrückt hat. Das ist anders ist, wenn ich herausschäle, dass Sünde meinen menschlichen Egoismus bezeichnet, der mich von meinen Mitmenschen, von Gott und mir selbst trennt. Je konkreter ich solche Begriffe mache, desto klarer werden sie und desto mehr «Aneckpotential» haben sie.

Es gibt noch weitere Predigerpirouetten und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, skizziere ich noch einige davon. Eine davon ist der Verzicht, den Weg zur Versöhnung mit Gott zu skizzieren. Da gibt es ja die klassisch-evangelikalen Heilswegformeln, mit denen ich durchaus meine Mühe habe. Nicht weil sie per se falsch sind. Aber zu oft systematisieren sie das Wirken Gottes und den Weg, auf dem Menschen zu Jesus finden, auf eine einzige, allgemeingültige Formel. Bekenne deine Sünden, sprich ein Gebet und du bist wiedergeboren. So läufts immer und nur so.

Noch gefährlicher ist aber das Gegenteil: Wenn wir ganz darauf verzichten einen Weg zum Heil aufzuzeigen. Es war ein längerer Suchprozess, meine theologischen Überzeugungen in meine eigenen Formeln zu giessen, die ich nun immer wieder benutze. Aber so fand ich zu Formulierungen, die mir und meiner Theologie entsprechen. Wo klassische Formulierungen z.B. stark von einer «Entscheidung» sprechen, rede ich inzwischen lieber davon, dass es darum geht, sich und sein Leben Jesus anzuvertrauen. Ja, da geht es letztlich nur um Nuancen und meine Formulierungen sind sicher nicht perfekt. Aber es ist meine Form, den Weg zum Heil aufzuzeigen in meinen Worten und auf eine Art und Weise, die meiner Theologie und meinem Kontext entspricht.

Gerade bei Abdankungen sehr wichtig ist mir das Aufzeigen der christlichen Ewigkeitsperspektive. Dabei masse ich mir im Normalfall kein Urteil zu, welchen Weg der Verstorbene nun eingeschlagen hat. Aber ich verkündige die Ewigkeitsperspektive, welche die Bibel uns skizziert und sage klar, dass diese gilt, für all jene, die sich und ihr Leben Jesus anvertrauen.

Zum Heilsweg gehört auch das Gegenstück: Wer sein Leben nicht Jesus anvertraut, bleibt unversöhnt. Auch das ist eine Predigerpirouette, diese Dimension konsequent zu unterschlagen. Und ich bekenne: Mir fehlt bis heute oft der Mut, diesen Aspekt miteinzubauen. Darum stehe ich nicht hier vorne als strahlendes Beispiel, das alles begriffen hat. Auch für mich ist und bleibt es ein Kampf.

Das erlebe ich auch bei der Auswahl von Bibelworten. Hast du das auch schon erlebt? Du hast die perfekte Lesung oder das perfekte Bibelwort für einen Gottesdienst gefunden, aber da gibt es diesen einen Vers, der vom grausamen Tod aller Feinde spricht, der alles versaut? Die Versuchung ist gross, solche Bibelworte zu umschiffen, zurechtzustutzen oder zu ignorieren. Das Gleiche gilt für die Liedauswahl. «Grosser Gott wir loben dich» ist toll, aber die Strophe 7, wo es heisst «du wirst kommen zum Gericht, wenn der letzte Tag anbricht», die überspringen wir lieber.

Ich bin der festen Überzeugung, dass manchmal eine solche Auswahl nötig ist. Als Liturgen benötigen wir ein seelsorgerliches Gespür, welches Wort in welche Situation passt. Gerade bei Abdankungen, haben wir mindestens so sehr einen seelsorgerlichen, wie einen verkündigenden Auftrag. Aber ich ertappe mich immer wieder, auch sonst störrischen Verse oder Liedstrophen zu umschiffen, nur weil z.B. eine Tauffamilie da ist. Und das ist ein typisches Symptom für eine Predigerpirouette.

4. Jesus, der Auferstandene, neu entdeckt

Ihr seht: Ich selber bin immer wieder am Ringen und Scheitern in diesen Fragen. Aber ich darf doch auch sagen, dass ich schon einen Weg gegangen bin und einige meiner Pirouetten verloren habe.

Ein wichtiger Faktor dabei war, dass ich Jesus und seinen Auftrag ganz neu in den Fokus bekam. Mein Auftrag ist es Jesus nachzufolgen. Dem echten, historischen Jesus, der heute noch lebt. Er ist es, den ich verkünden soll. Nicht eine Chiffre. Nicht ein Symbol, das dann jeder für sich interpretieren kann. Ich soll ein Wegweiser zu ihm sein, zum auferstandenen Jesus. Das ist meine Aufgabe.

Und das bedingt eine Klarheit in der Verkündigung. Nur so kann ich ein Wegweiser für meine Mitmenschen zu Jesus hin sein. Gleichzeitig ist es eine Befreiung. Ein Wegweiser ist nicht verantwortlich, ob Andere der Wegweisung folgen. Es ist nicht mein Auftrag, Menschen zu bekehren. Das kann ich nicht. Es ist nicht mein Auftrag zu urteilen, wo sie in ihrer Beziehung mit Jesus stehen. Ich soll ein Wegweiser sein. Und welchen Weg dann Jesus mit meinen Mitmenschen und Zuhörern geht, ist die Sache zwischen ihnen und ihm.

Diese Erkenntnis war für mich eine unglaubliche Befreiung. Es befreite mich vom Drang, alles be- und verurteilen zu müssen. Andere Menschen gehen einen anderen Weg mir Jesus. Und vielleicht glauben sie tatsächlich an einen anderen Jesus. Aber mit meiner Verurteilung kann ich niemanden überzeugen. Mein Auftrag ist es klar zu sein und zu bleiben in meinem Bekenntnis zum historischen Jesus dem Auferstandenen und zur Bibel, durch die er uns bezeugt ist und durch die er noch heute spricht. Bibel und Bekenntnis.

Das hatte Auswirkungen auf meine Verkündigung. Ich rede heute konsequent von Jesus und verstecke ihn in Predigten nicht mehr hinter irgendwelchen Formulierungen. Jesus ist gestorben und von den Toten auferstanden. Punkt. Auch in meinen Vorlagen oder in liturgischen Formeln habe ich konsequent «Christus» mit «Jesus» ersetzt. Nicht weil es falsch war. Aber es war so formuliert, dass man es einfacher uminterpretieren konnte. Das möchte ich nicht mehr.

5. Die Folgen sind überraschend

Und solche Klarheit hat Folgen. Die klare Rede von Jesus ist ein Ärgernis, oder? Überraschenderweise machte ich die Erfahrung, dass die Menschen viel weniger Mühe damit bekundeten, als ich immer das Gefühl hatte. Meine Beobachtung ist sogar gegenteilig: Viele Menschen schätzen die Klarheit.

Zumindest manche meiner landeskirchlichen Kolleginnen und Kollegen hier hatten sicher auch schon eine Abdankung, bei der die Familie bat, bitte nicht zu viel von Gott und der Bibel zu sprechen. Das kann ich nicht. Und das kommuniziere ich auch so. Bis jetzt hat sich noch keine Familie dazu durchgerungen, sich daraufhin einen anderen Pfarrer zu suchen. Also gestaltete die Abdankung wie üblich und spreche klar von der Ewigkeitsperspektive, die es nur gibt für jene, die sich dem gestorbenen und auferstandenen Jesus anvertrauen. Überraschenderweise höre ich nach solchen Abdankungen nie Kritik an meiner Klarheit, sondern vielmehr Dank, weil die Abdankung als würdevoll und tröstlich empfunden wurde. Viele Menschen können die Botschaft von Jesus entgegennehmen, wenn der Rest stimmt.

Bei Abdankungen bedeutet das beispielsweise: Ich rede nicht nur biblisch über die Köpfe hinweg, sondern gebe der Biographie des Verstorbenen und den Gefühlen der Angehörigen Raum in der Predigt und verknüpfe diese mit den biblischen Zusagen. Und ja, das ist harte Arbeit und nicht so simpel, wie einfach die alte Heilsbotschaft wiederzukäuen. Doch nur so schaffen wir einen Rahmen, in dem Menschen die Botschaft annehmen können. Aber in so einem Rahmen, verträgt es dann selbst die klare Aussage, dass die göttliche Ewigkeitshoffnung nur jenen offen steht, die sich und ihr Leben Jesus anvertrauen.

Gut, manche mögen jetzt einwenden, dass die Menschen einfach selektiv zuhören und die Klarheit gar nicht wahrnehmen. Davon bin ich durchaus auch überzeugt. Aber das ist nicht in meinen Händen. Ich bin der Wegweiser. Ich säe Klarheit. Ob die Saat aufgeht, ist nicht in meinen Händen.

Und Menschen hören durchaus zu. Es gab auch schon Diskussionen, weil ich klar predigte. Meistens sind solche Diskussionen aber konstruktiv. Und selbst kritische Diskussionen sind ja völlig ok. Gleichzeitig lautet die Realität: Ich hatte schon viel mehr Diskussionen, weil Menschen etwas anderes gehört haben, als ich gepredigt habe, als dass ich Diskussionen wegen meiner Jesusbotschaft hatte. Viel heikler als das klare Bekenntnis zu Jesus sind heute sowieso ethische Aussagen. Nicht zuletzt, weil wir in dem Gebiet ja selbst bei Jesusnachfolgern Anstoss erregen können.

Gerade in diesem Bereich kämpfe ich noch immer darum, meinen Mut zu finden. So wie letzten Juli, als ich in einer Predigt über Jeremia 11,19-20 aufzeigte, wie wir als Christen damit umzugehen lernen müssen, mit dem Gegenwind einer Gesellschaft zu leben, die unsere Werte nicht teilt. Ich kam nicht umhin, die heissen Themen anzuschneiden: Homosexualität, Gender, Abtreibung. Ich spürte die Unruhe, diese Tabuthemen auch nur anzusprechen. Ich wusste, es sind Menschen im Gottesdienst, bei denen ich nicht sicher bin, wo auf dem Weg mit Jesus sie stehen, bei denen die Lebensführung nicht so klar ist. Menschen halt, wie sie in vielen Landeskirchen zur Gottesdienstgemeinde gehören. Doch genau von solchen Menschen kam danach die Reaktion: Danke für deine Klarheit. Und ich musste beschämt feststellen, was für ein Kleingläubiger ich doch noch immer bin.

Ja, bei ethischen Themen, stehen wir tatsächlich im Gegenwind, der manchmal sogar von scheinbar frommen Menschen her bläst. Darum müssen wir uns auch eingestehen: Es brauch Mut, über diese Themen zu sprechen. Und ja, oft fehlt mir dieser Mut. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir uns gegenseitig stärken. In diesem Netzwerk. Im persönlichen Umfeld. Wo sind Menschen, die dir den Rücken stärken, auch wenn du vielleicht einmal Kritik ausgesetzt bist für deine Klarheit? Wo erhältst du Ermutigung, dass es sich lohnt, die Pirouetten sein zu lassen und klar Jesus den Auferstandenen und die Worte der Bibel zu verkündigen?

Gleichzeitig benötigt Klarheit Arbeit. Der Gemeinde ein plumpes Evangelium hinzuklatschen mit irgendwelchen Floskeln oder einfach immer den gleichen Satz zu wiederholen ist simpel. Aber oft stösst genau das auf Ablehnung. Nicht weil es das Evangelium Jesu ist, sondern weil es plump ist. Leiste ich aber die Übersetzungsarbeit, dass ich die Botschaft von Jesus mit den Lebenswelten meiner Hörer verknüpfe, sind erstaunlich viele Menschen bereit, zu hören, was Jesus und seine rettende Botschaft mit ihnen zu tun hat. Es ist diese ermutigende Erfahrung, bei Abdankungen, Hochzeiten, Konfirmationen, Seniorenandachten oder auch bei ganz normalen Gottesdiensten, die mich motivierte heute dieses Referat zu halten und die Ermutigung weiterzugeben. Menschen vertragen Klarheit. Und es ist unsere Aufgabe, sie zu liefern.

6. Eine Kur gegen Predigerpirouetten

In Römer 1,16 steht das bekannte Pauluswort: «Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.» Die Realität lautet: Manchmal schäme ich mich. Zu oft bin ich ein kleingläubiger Knilch, der Angst vor dem Urteil seiner Mitmenschen hat. Doch dieses Eingeständnis ist der erste Schritt zur Veränderung.

Zumal Menschenfurcht nichts Neues ist. In 2. Timotheus 1,8 lesen wir: «Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit für das Evangelium in der Kraft Gottes.»Warum schreibt Paulus diese Zeilen an Timotheus? Weil es selbstverständlich ist, dass man sich nicht schämt? Eben nicht. Es ist menschlich. Es ist Teil unserer grundmenschlichen Psychologie, uns in unser Umfeld einzupassen, indem wir uns anpassen.

Ich bin nicht abnormal, wenn ich Kompromisse mache. Doch mein Ziel lautet, mit Paulus sagen zu können: «Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben» (Römer 1,16a). Nur wenn ich mir bewusst bin, dass ich in der Gefahr stehe, Predigerpirouetten zu machen, kann ich mich dieser Gefahr auch entgegenstellen.

Das ist ein aktiver und bewusster Entscheid. Z.B., wenn ich aktiv verzichte, «Christus» als Chiffre zu gebrauchen und stattdessen klar von «Jesus» spreche. Es benötigt immer wieder Arbeit, wenn ich das Evangelium Jesu nicht nur als plumpes Anhängsel in einer fixen Formel runterleiern will, sondern mich frage: Wie kann ich die Botschaft von Jesus klar in dieser Situation predigen?

Ja, ich mag damit mehr anecken. Menschen mögen irritiert sein, von der Botschaft vom Kreuz. Aber wie soll ein Glaube an Jesus den Auferstandenen wachsen, wenn wir nicht diesen Glauben sähen? Nur wenn wir klare Wegweiser sind, können Menschen den Weg zu Jesus finden. Darum will ich noch mehr und mehr lernen, auf Predigerpirouetten zu verzichten. Und du?

Bibelzitate aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (1984), Deutsche Bibelgesellschaft.

Zum Autor

Philipp Widler ist Pfarrer der Evang. Kirchgemeinde Tägerwilen-Gottlieben TG.

[2] James MacDonald, Vertical Church, S. 157-158. Originalwortlaut: «If you don't have people walking away from your ministry saying, ‘This is a hard saying; who can listen to it,’ then you don't have a ministry like Jesus had.»