Predige doch ansprechend!

Wahre und falsche Modernität und Popularität in der Verkündigung

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Der Aufsatz ist zwar bereits fast 100 Jahre alt (1930 publiziert). Aber in den Grundzügen immer noch topaktuell: Womit die Prediger zu Wilhelm Buschs Zeiten rangen, ringen wir auch noch heute. Spannend ist zu überlegen, ob seine Ausführungen zur Sachlichkeit vs. Gefühlsbetontheit in der Verkündigung (S. 3-4) bereits wieder eine Entwicklung durchgemacht haben.

Das ist die Forderung, die beständig an uns gestellt wird: Wir sollen modern und populär sein in unserer Verkündigung. Und wir sehen, wie die einen sich gegen diese Forderung heftig sträuben und sich damit isolieren, und wir sehen andere, die dieser Forderung so willig nachgeben, dass ihre Verkündigung eben keine Verkündigung mehr ist. Wir müssen zunächst fragen: Was heisst denn Modernität und Popularität? Wenn wir von Popularität sprechen, dann denken wir dabei an den Mangel unserer Hörer. Einer, der populär redet, hat begriffen, dass die Menge der Hörer ein nur begrenztes Sehfeld hat, und erstellt sich in seiner Rede auf diese Armut ein.

Bei dem Worte Modernität denken wir an den geistigen Besitz der Hörer. Sie sind Kinder ihrer Zeit, und das, was ihre Zeit ihnen gibt, ist ihr Besitz. Wer mit diesem, aus der Gegenwart gegebenen Besitz der Hörer zu rechnen versteht, spricht modern.

Es taucht nun zunächst die Frage auf: Darf unsere Verkündigung überhaupt danach streben, modern und populär zu sein? Von zwei Seiten her wird uns das bestritten. Erstens von der Praxis der homiletischen Ausbildung. Ich erinnere mich jener Stunde, als ich im homiletischen Seminar einen Text bekam mit dem Auftrag, hierüber eine Predigt auszuarbeiten. Auf die Frage, wie ich mir denn meine Gemeinde vorzustellen hätte, als Beamte, Industriearbeiter, Bauern oder Regierungsräte, wurde mir die Antwort: «Das ist ganz gleichgültig, machen Sie nur erstmal Ihre Predigt.» Es wurde also bewusst verzichtet auf die Fragen: Was ist denn der vorhandene geistige Besitz der Hörer? und: Inwieweit bin ich beschränkt durch die geistige Armut der Hörer? Also bewusster Verzicht auf Popularität und Modernität. Vielleicht ist allerdings in diesem Falle der Verzicht weniger auf eine klare Überlegung als vielmehr auch auf eine geistige Armut zurückzuführen.

Von einer anderen Seite her wird viel ernster bestritten, dass die Verkündigung modern und populär sein soll: Von einer Theologie, die uns sagt: Das Wort! Das Wort! Verkündige einfach das Wort, das schon irgendwie einen Weg sich selber bahnen wird. Aber mache nur du dich nicht anheischig, dies Wort durch das Schielen nach dem Hörer wirkungsvoller machen zu wollen.

Gegen diese Bestreitung wenden wir ein Doppeltes ein.

  1. Die eigene Erfahrung. Auch uns traf «das Wort» nur, sofern und soweit es für uns populär und modern wurde, d. h. sofern es uns in unsrer Gedankenarmut verständlich wurde und uns mit unserm geistigen Besitz erfasste und traf.
  2. Die apostolische Praxis. Wir werfen einen Blick auf die Predigttätigkeit des Paulus. Da ist zunächst zu sagen, dass Paulus einen Grundsatz aufgestellt hat, 1. Korinther 9,19-23, zusammengefasst in dem Sätzlein: «Ich bin jedermann allerlei geworden, auf dass ich ja etliche selig mache.»

Und nun haben wir vier Reden des Paulus, die wir unter unserem Gesichtspunkte ansehen wollen. Da ist zunächst Apostelgeschichte 13,16ff. Dort spricht Paulus zu der Synagogen-Gemeinde. Der geistige Besitz waren die Schrift, die Geschichte des Volkes Israel und die Verheissungen Gottes. Die Frage, die sie bewegte, war die Frage nach der Gerechtigkeit. Man lese diese Rede durch, um zu sehen, wie Paulus an diesen Besitz der Gemeinde anknüpft und im Evangelium die Antwort auf die Frage der Gemeinde nach der Gerechtigkeit gibt: «Wer an diesen glaubt, der ist gerecht», Vers 39.

Die nächste Rede des Paulus ist die Rede auf dem Areopag (Apg. 17,22ff.). Hier redet Paulus nicht von den Verheissungen Gottes und nicht von seinen Bezeugungen in Israel. Das sind Dinge, die nicht im Blickfeld der Athener standen. Dagegen knüpft er an an den geistigen Besitz der Athener. Er spricht von ihren Altären und ihren Poeten.

Die dritte Rede steht Apostelgeschichte 22. Das ist die grosse Rede, die Paulus von den Stufen der Burg zu seiner Rechtfertigung vor dem Volke hält. Hier vor der Masse setzt er weder die Schrift noch die Poeten voraus. Er macht es wie der moderne Massenevangelist: Er legt ein Zeugnis ab und erzählt eine Bekehrungsgeschichte.

Die nächste Rede steht Apostelgeschichte 26. Da steht Paulus vor Festus und Agrippa. Das waren zwei Männer, die erfüllt waren von der Frage nach der Macht. Darum spricht Paulus hierdavon, dass Christus der Mächtigste sei.

Diese kurze Übersicht zeigt, dass Paulus durchaus bemüht war, in seiner Verkündigung populär und modern zu sein. Er sprach nicht von Dingen, die den Leuten unverständlich waren. Dagegen knüpfte er seine Reden immer da an, wo im Bewusstsein seiner Hörer etwas vorhanden war.

Wer in seiner Verkündigung auf Popularität und Modernität verzichten will, der hat 1. Korinther 13 nicht verstanden, denn die Liebe gebietet, das Evangelium so zu verkündigen, dass es dem Hörer fassbar wird.

Unsere Verkündigung muss also populär sein, sie hat herabzusteigen zur geistigen Armut des Hörers. In dieser Beziehung entstehen für uns heute ganz besondere Aufgaben. Die moderne Schule hat so viel experimentiert, dass jetzt eine Generation heranwächst, die weithin des primitivsten Wissens ermangelt. Ich habe eine Reihe von Schülern daraufhin einmal geprüft. Sie wussten weder, wieviel Erdteile es gibt, noch, wer Napoleon sei, noch zu welchem Lande Hamburg gehöre. Und unter diesen Schülern waren Gymnasiasten. Als ich nach dem deutschen Fussballmeister fragte, wussten alle Bescheid. – Rechnen müssen wir auch mit der ausserordentlich geringen Bibelkenntnis. Ich habe Konfirmanden, die aus fünf verschiedenen evangelischen Schulen kamen, nach der Geschichte vom verlorenen Sohn gefragt und keiner kannte sie. Es wird ja nicht überall in dieser Beziehung so trübe aussehen. Aber dadurch, dass die moderne Schule mehr Erziehungsschule als Lernschule sein will, wird der geistige Besitz des Volkes verkleinert.

Auch dadurch, dass heutzutage der Beruf den Menschen ungeheuer in Anspruch nimmt, wird eine gewisse Verarmung des geistigen Lebens herbeigeführt. Wer in der Arbeit der Inneren Mission steht, weiss genau, dass man zu Artisten, Kellnern, Strassenbahnern usw. nur in ihrer Sprache reden kann. Und überhaupt: Wir Akademiker überschätzen in unserer Verkündigung gar zu leicht das Fassungsvermögen unserer Zuhörer. Ich habe Predigten in Arbeitergemeinden gehört, die als Vorlesung auf einer Volkshochschule ganz hübsch gewesen wären, die aber über die Köpfe der Mehrzahl der Gemeindeglieder einfach hinweggingen.

Wenn wir populär sein wollen, müssen wir auch rechnen mit der geringen Konzentrationsfähigkeit des modernen Menschen. Das moderne Tempo, das Vielerlei unserer Zeitungen, das Kino und die tausend starken Eindrücke der letzten Jahre haben den modernen Menschen unfähig gemacht, sich längere Zeit auf eine grössere Gedankenreihe zu konzentrieren. Darum muss unsere Verkündigung viel kürzer sein als die vergangener Zeiten. Beim Grossstädter hört die Aufnahmefähigkeit nach 20 Minuten auf. Darum darf unsere Verkündigung nicht mit einem Gedanken anfangen, der im Laufe einer halbstündigen Predigt zu Ende geführt ist, sondern unsere Predigt muss in Gruppen von kleineren Gedankenreihen gegliedert sein. Daher haben auch die Beispiele und packenden Erzählungen in der modernen Evangeliumsrede ihre grosse Bedeutung.

Unsere Verkündigung muss modern sein, d. h. sie muss rechnen mit dem geistigen Besitz der Zuhörer. Das gilt sowohl für die Gestaltung der Form als auch für den Inhalt, für die Fragestellung. Sprechen wir zunächst von der Form. Da gibt es ein modernes Schlagwort, welches in treffender Weise den Geist unserer Zeit kennzeichnet. Dies Wort heisst Sachlichkeit. Vielleicht erreicht unsere Kirche darum weithin nur noch Kinder und Greise, weil sie vielfach mit Gemütswerten operiert, die dem modernen Menschen einfach lächerlich sind. Die Form der Rede muss sachlich sein. In früheren Zeiten war der Schmuck eines Hauses eine reiche Ornamentik. Die moderne Bauweise ist sachlich, d. h., sie verzichtet auf allen Stuck. Der Schmuck des Gebäudes ist die überzeugende Gliederung der Baumassen. So soll es auch für unsere Rede gelten. Der Schmuck unserer Rede sei nicht eine blütenreiche Sprache, sondern eine überzeugende Gliederung der zu verkündigenden Tatsachen.

Noch vor 8 Jahren erklärte mir ein bedeutender Kanzelredner: «Es ist sehr wichtig, junger Freund, dass Sie in Ihrer Predigt die Übergänge von einem Teil zum andern möglichst reich gestalten, dass in Ihrer Predigt keine abrupten Übergänge entstehen.» Solcher Rat ist heute völlig überholt. Schlagen wir den Stuck herunter und lassen wir eine klare überzeugende Gliederung so hervortreten, dass sie dem Hörer völlig durchsichtig wird. Auch die Sprache muss sachlich sein. Ich kenne einen Prediger, dem vor Jahren alles zulief, weil er eine so gewaltige Stimme hatte. Heute wirkt das Pathos dieses Mannes nur noch lächerlich. Und ich weiss von einem anderen Pfarrer, der noch vor einigen Jahren die Gemüter der Gemeinde dadurch heftig bewegte, dass er hie und da auf der Kanzel zu weinen anfing. Vor einem Jahr kamen zu diesem Pfarrer eine Schar junger Männer und sagten ihm: «Wir hören Sie ja ganz gerne, aber wenn Sie noch einmal weinen, können wir nicht mehrkommen. Das ist peinlich.» Sachlich sei die Sprache. Auch die Themastellung, namentlich der evangelistischen Rede, muss sachlich sein, d.h., sie darf nicht Falsches versprechen. Wenn man irgendein sensationelles Thema nimmt, das nachher nur als Sprungbrett für allerlei anderes benutzt wird, dann schafft das nur Verärgerung, aber nicht Bereitschaft zum Hören. Und sachlich müssen die Ausführungen sein.

Es gibt eine Theologie, die sagt «Auferstehung» und meint nicht «Auferstehung». Solche Dinge sind dem modernen Menschen unerträglich. Man spreche so, dass auch der primitivste Mensch weiss, was nun eigentlich gemeint ist. Auch in der Beziehung wird häufig gesündigt, dass man irgendeine moderne Not anschneidet, etwa die Ehenot oder die Lage der Arbeitslosen, und anstelle einer Antwort und Lösung nur einige verlegene fromme Worte macht. Es ist kein Unglück, wenn wir auch einmal eine Ratlosigkeit zugeben. Aber das ist ein Unglück, wenn wir dem Menschen in seiner Not ein Bibelwort geben, mit dem er nichts anfangen kann.

Wenn es wahr ist, dass unsere Verkündigung heute sachlich sein soll, dann ist damit zugleich gesagt, dass die Evangelien mehr als je auf den modernen Menschen zugeschnitten sind. Denn es gibt keine sachlichere Berichterstattung als die der Evangelien.

Fassen wir also zusammen: Populär und modern sei unsere Verkündigung, weil die Liebe uns treibt, das Evangelium so zusagen, dass es verstanden wird. Aber ganz gewiss gibt es auch falsche Popularität und Modernität. Die beginnt dort, wo nichtmehr die Liebe zum Evangelium und zum Hörer das Dominierende ist, sondern die Liebe des Redners zu sich selbst. Also: ich will populär und modern sein, um die Herzen für das Evangelium zu gewinnen. Aber falsch ist es, wenn ich populär und modern verkündige, um ein beliebter und viel besuchter Prediger zu sein. Das ist falsch, wenn Popularität und Modernität Selbstzweck werden, unter dem das Evangelium verschwindet. Das ist falsch, wo um der Popularität und der Modernität willen das Evangelium verkürzt wird. Paulus sagt da zwei sehr klare Worte: 1. Korinther 1,23: «Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit», und 1. Korinther 2,1-2: «Auch ich, liebe Brüder, der ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt. Denn ich hielt nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch als allein Jesus Christus den Gekreuzigten.»

Also das ist falsche Modernität, wo das Ärgernis des Kreuzes schmackhaft gemacht werden soll. Das ist falsche Popularität, wo die Predigt den Beifall der Menge erregt und nicht mehr die Gewissen trifft. Wohl uns, wenn wir so modern und populär reden, dass das Kreuz Christi begriffen wird. Wehe uns, wenn wir so populär und modern reden, dass das Kreuz als Gericht und Gnade verdunkelt wird. Es gibt eine Verkündigung, die ist bereits Gericht Gottes.

«Sie werden sich selbst Lehrer aufladen, nach denen ihnen die Ohren jucken» (2. Tim. 4,3). Das werden Prediger sein, die im höchsten Masse modern und populär sind und doch eine «Last», ein Spott Gottes. In alter wie in neuer Zeit ist solche falsche Popularität und Modernität nicht vermieden worden. Wir kennen alle die Predigten und Evangelisationen, wo der Zuhörer seelisch erregt und aufgepeitscht wurde, aber das Gewissen blieb ungetroffen. Oder ich denke an manche moderne Verkündigung, wo man sucht, mit irgendwelchem sozialen oder problematischen Gerede den Beifall der Menge zu erringen und damit die Zeugenstellung aufgab.

Fassen wir alles zusammen: Wir brauchen mehr denn je die göttliche Ausrüstung des Heiligen Geistes. Der befestigt uns so im Evangelium, dass wir lieber sterben, als dass wir auch nur ein Stücklein der Botschaft um des Zeitgeistes willen aufgeben. Der gibt uns aber auch die Liebe, die unermüdlich darum ringt, die offene Türe zum Herzen des anderen zu finden, und die der Losung nicht müde wird: «Wir wollen auf sein Kreuz solange weisen, bis es durch ihre Herzen geht.»

Zum Autor

Wilhelm Busch (1897-1966) war ein deutscher evangelischer Pfarrer. Er war Aktivist bei der Bekennenden Kirche, was ihn während der Zeit des Nationalsozialismus auch mehrfach ins Gefängnis brachte. Als leidenschaftlicher Prediger beschäftigte er sich auch schon früh (1930) mit dem Predigen auf «theoretischer» Ebene.

Der abgedruckte Aufsatz wurde in der Wilhelm-Busch-Bibliothek Band 8 im Aussaat Verlag wiederveröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags publiziert.


Wilhelm Busch, Wahre und falsche Modernität und Popularität in der Verkündigung, 1930, in: Ders., Jesus predigen – nicht irgendwas!, Die Wilhelm-Busch-Bibliothek Bd. 8, Neukirchen-Vluyn: Aussaat/CLV, 2006, Seiten 81-92.