Verkündigen – Rede und schweige nicht!

Rückblick zur Tagung vom 30. September 2023

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Peter Schmid - Artikel als PDF (Dropbox)

Predige das Wort!

Die Herbsttagung des Netzwerks im TDS Aarau begann mit einem Gottesdienst, den Pfrn. Dagmar Rohrbach leitete. Pfr. Benjamin Rodriguez predigte über das Vermächtnis des Apostels Paulus im zweiten Brief an Timotheus. Dieser sollte das Wort zur Zeit und zur Unzeit predigen, zurechtweisen und ermahnen, um der gesunden Lehre Nachachtung zu verschaffen, dabei nüchtern und leidensbereit sein (2 Tim 3,14-4,8).

Den Mentor Paulus beeindruckte an Timotheus der ungeheuchelte Glaube. Er sollte bleiben in dem, was er von klein auf gelernt hatte, und Menschen mit zerrütteten Sinnen entgegentreten. «Die Relevanz und die Kraft der göttlichen Botschaft beruht nicht auf Innovation und klugen Gedanken. Sondern ihre Kraft steht und fällt damit, dass sie der Heiligen Schrift entspricht. Dann entfaltet sie die Kraft, um zu unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus.»

Als Paulus den Brief schrieb, war das Neue Testament erst im Entstehen. Der Apostel brachte «ganz klar zum Ausdruck, dass die Heilige Schrift, die Bibel, nicht um ihrer selbst willen ein göttliches Buch ist. Sondern sie weist über sich selbst hinaus auf den, der durch sie spricht. Jedes einzelne Wort der Heiligen Schrift weist auf den, der es gehaucht hat. Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments hat Kraft, weil sie Gottes Reden ist.»

Gottes Reden ist kostbar – es darf nicht verschwiegen werden. «In jeder Situation, sei sie passend oder unpassend, muss das Reden Gottes gehört werden.» Die Verkündigung erfordert Durchhaltevermögen, «Hingabe und eine hohe Frustrationstoleranz».

Im Zentrum der Verkündigung, so Benjamin Rodriguez, steht Jesus Christus, wie ihn die Bibel und die Bekenntnisse vorstellen. «Wenn die Verkündigung zum Klimamanifest mutiert oder eine Predigt zur Motivationsrede ausartet oder sich in Tipps zu einem besseren Leben und einem besseren Selbst erschöpft, so ist es eine hohle und unbrauchbare Botschaft. Wenn Jesus nicht im Zentrum steht, so ist alles Reden Schall und Rauch und zu nichts nütze.»

Paulus stellt seinem Schützling den Ernst der Aufgabe vor Augen. Rodriguez paraphrasierte: «Predige das Wort, denn daran entscheidet sich die Ewigkeit für diejenigen, die vor den Richterstuhl Christi treten. Predige das Wort, denn die Zeit drängt, Jesus kommt bald. Predige das Wort, denn so nimmt die Herrschaft Jesu in der Welt Form an.»

Christus und die Kirche – nicht ohne das Alte Testament

Im ersten Vortrag der Tagung legte Dr. Stefan Felber dar, warum das Alte Testament für die christliche Verkündigung unverzichtbar ist. Die Schriften des Neuen Testaments schliessen an die Bücher des AT an. «Für die Autoren des Neuen Testaments wäre der Gedanke, sich vom Alten Testament zu lösen, absurd erschienen.» Vor König Agrippa betonte Paulus, er sage «nichts, als was die Propheten und Mose gesagt haben, dass es geschehen soll».

In Aarau verdeutlichte Stefan Felber die enge Verzahnung der Testamente, «die mit Tausenden Häkchen aneinanderkleben wie ein Klettverschluss», mit einer Computergrafik. Dass in der Kirchengeschichte seit Marcion wiederholt behauptet wurde, man könne sich des AT entledigen, muss laut Felber ausserbiblische Gründe haben. Der Alttestamentler gliederte die aktuellen Einwände gegen die Gültigkeit des AT in fünf Gruppen: Widerspruch im Namen einer humanen Ethik, im Namen der pastoralen Verwendbarkeit, im Namen eines neu interpretierten Neuen Testaments, im postevangelikalen Bereich – und aus Bequemlichkeit und Denkfaulheit.

Beim ersten Einspruch wird, so Felber, der Massstab für das Humane ausserhalb der Bibel gesucht – dies aufgrund aufklärerischer Postulate. Hegel schrieb: «Der unendliche Geist hat nicht Raum im Kerker einer Judenseele …» Adolf von Harnack meinte in der Spur von Marcion – durch Ablehnung des AT – die Akzeptanzprobleme des Christentums in der Moderne lösen zu können. Doch so hat der Gott der Christen «mit der Schöpfung immer weniger zu tun … die Spannung zwischen Gott und Welt entfällt».

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Die Vergeltungswünsche der Psalmen schränken ihre pastorale Verwendbarkeit für viele Theologen ein. Stefan Felber fragte, «ob unsere Vorstellung von Gemeinschaft zum Kriterium für den Schriftgebrauch wird oder ob nicht umgekehrt die gemeinsame Verpflichtung auf die Schrift Gemeinschaft gründen (und natürlich auch abgrenzen) könnte und sollte».

Der dritte Einspruch ist aus der klassischen liberalen Theologie erwachsen, welche das NT neu interpretierte. Felber erwähnte auch «zivilreligiös-reduktionistisch-häretische Glaubensbekenntnisse». Dabei falle die kanonische Geltung der Heiligen Schrift dahin: «Mit der Autorität des Alten wird auch die des Neuen Testaments aufgelöst.» Die Genfer Ökumene habe das Ihre dazu beigetragen, etwa mit dem Glaubensbekenntnis von Seoul 1990, das mit den Worten endet: «Ich glaube an die Schönheit des Einfachen, an die Liebe mit offenen Händen, an den Frieden auf Erden.»

Stefan Felber kritisierte, dass die biblische Begrifflichkeit von Sünde und Gnade, Opfer und Rechtfertigung hiermit verdrängt ist; stattdessen sei die Erfüllung aktueller Bedürfnisse das Kriterium. «Das Alte Testament darf behalten werden, wenn es spannende Geschichten und einen Beitrag zur Befreiung liefert.» Oder – wie Christiane Tietz in einem Interview sagte: «Die Bibel ist Gottes Wort, weil sie berührt.»

Den postevangelikalen Einspruch gegen die Gültigkeit des AT illustrierte Stefan Felber mit Thesen von Andy Stanley. Der US-Pastor und Autor wendet sich gegen das «Vermischen» von AT und NT: «… Warum sollten sie überhaupt versucht sein, hinter das Kreuz zurück zu greifen, um Anleihen an einem Bund zu machen, der vorläufig und geringer war als der Bund, der für uns auf Golgatha geschlossen wurde?»

Felber wandte sich gegen Stanleys Gegenüberstellung ‹Bibel-Cocktail oder Jesus?› Er sagte: «Wer diese Alternative aufmacht, hat nicht verstanden, daß alle Zutaten im grossen ‹Bibel-Cocktail› von Jesus herkommen und auf ihn zielen. Es ist nichts im Neuen, das nicht hinter sich sähe das Alte, und nichts im Alten, das nicht ein Träger Jesu Christi ist… Wir entdecken die Fülle Christi erst, wenn wir ihn in der Vielfalt des Alten Testaments wahrnehmen.»

Zum fünften Punkt bemerkte Felber, vom AT würden in aller Regel nur wenige ausgewählte Texte gepredigt; Predigtreihen seien selten. Zu oft dienten AT-Texte nur als Sprungbretter für Themenpredigten – trotz 2 Tim 3,16. Der Referent zitierte Wilhelm Vischer: «Das Alte Testament sagt, was der Christus ist, das Neue, wer er ist.» Er schloss mit Thesen, unter ihnen die Warnung: «Wer das Alte Testament aus dem Kanon nimmt oder sich ihm sonst nicht mehr auseinandersetzen will, schafft das Christentum, das Christsein, die ganze Kirche ab.»

Warum verschweigen wir, was zu predigen ist?

Nach der Mittagspause sprach der Theologe und Evangelist Ulrich Parzany, Leiter des deutschen Netzwerks Bibel und Bekenntnis. Die Frage: «Was hindert uns zu reden?» beantwortete er dreifach:

1. Wir möchten Menschen gewinnen und nicht vor den Kopf stossen, nicht abstossen. Evangelisten bauten mit viel Aufwand Beziehungen auf, um die Bereitschaft zuzuhören, zu erlangen, sagte Parzany. Dies wirkt sich aus als «Schere im Kopf: Man weiss, was auf keinen Fall gut ankommt. Hölle, Endgericht, Jungfrauengeburt …» Und wer wolle ganz vorn beginnen und die Erschaffung des Menschen als Gottes Ebenbild, als Mann und als Frau als Teil der Gottesoffenbarung hinstellen?

2. Wir akzeptieren die Rahmenbedingungen, in denen wir leben. Der Landeskirchen-Pfarrer habe den Vorteil, nie als Sektierer angesehen zu werden – und wolle diesen nicht verspielen.

3. «Wir alle müssen entscheiden, ob wir Teil der Zivilreligion sein wollen oder in der Christusnachfolge sein wollen.» In der polarisierten Gesellschaft würden versöhnliche Botschaften erwartet. Die Forderung an Theologen, zum Kitt der Gesellschaft beizutragen, könne sich als Schere im Kopf auswirken, denn «dann muss man alles ausscheiden, was spaltet».

Nach dieser Schilderung dessen, was bremst, betonte Ulrich Parzany jedoch aufgrund der Berichte im Neuen Testament: «Die Verkündigung des Evangeliums von Jesus spaltet in jedem Fall die Hörerschaft. Von Anfang an.»

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Der Theologe erwähnte die Urgemeinde in Jerusalem, auch den Tumult im heidnischen Lystra, der zur Steinigung von Paulus führte. Der Apostel habe darunter gelitten, dass seine Verkündigung die Hörerschaft immer spaltete. Mit Matthäus 10,34 fragte Parzany: «Ist Jesus der Friedefürst – oder ist er der Streithammel?» Das Evangelium fahre ein, es treffe «die engsten, lebenstragenden Beziehungen».

Der Referent schloss mit der tröstlichen Erfahrung schon der ersten Christen, dass die Bitte um Freimut erhört wird. Auf das Gebet der Jerusalemer Christen (Apg 4,23ff) antwortete Gott mit einem Erdbeben. Und gab ihnen so Freimut (parrhäsia).

Scharf wandte sich Ulrich Parzany dagegen, dass Christen in Westeuropa sich als unfrei oder gar verfolgt ansehen: er führte die Bedrängnis anderer Christen an. Das Schweigen hiesiger Theologen bezeichnete der international bekannte Evangelist als Feigheit. Denn: «Das Gebet um Freimut wird erhört.» Zu sagen sei das Evangelium allerdings immer mit Liebe, schloss Parzany. «Ohne Liebe geht nichts… Aus der Liebe, die der Heilige Geist gibt, ringen wir um die angemessene Form: die Wahrheit zu sagen.»

Prediger-Pirouetten

Philipp Widler, Pfarrer am Untersee, rundete die Tagung mit persönlichen Reflexionen zum Verschweigen und Verschleiern ab. Obwohl er das Wort der Bibel unverfälscht predigen wollte, habe er einen Weg hin zu Predigerpirouetten beschritten. Dazu veranlasst habe ihn u.a. das landeskirchliche Mantra ‹Wir müssen für alle da sein – und dürfen niemand abschrecken›. Er habe nicht als evangelikaler Eiferer gelten wollen und seine Sprache geändert, bewusst und unbewusst Wesentliches verschleiert. So habe er «Christus» statt «Jesus» gesagt.

Doch biblische Zentralbegriffe sind wieder und wieder durchzubuchstabieren, sagte Philipp Widler. Er wolle bei Abdankungen die christliche Ewigkeitsperspektive darlegen. Das Amt des Verkündigens bleibe ein Kampf. «Viel heikler als ein klares Bekenntnis zu Jesus sind ethische Aussagen.» Pfarrer und Pfarrerinnen sollten einander gegenseitig stärken und intensiv an einer unverkürzten Darlegung des Evangeliums arbeiten.

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Am Ende der Tagung standen die drei Referenten den 65 Teilnehmenden Red und Antwort. Dabei wies Ulrich Parzany auf die zunehmende Offenheit fürs Evangelium in der islamischen Welt hin. Er sprach von einer riesigen Bewegung hin zu Christus.

Willi Honegger, der durch die Tagung geführt hatte, schloss sie mit Dank und Gebet.